Den Klimawandel in der Stadt überleben
Was für ein toller Effekt: In Venedig ist es dieser Tage kühl und regnerisch. Ein warmer Pullover kann nicht verkehrt sein. Doch kaum hat man den ersten Saal des Arsenale betreten, steht man in einer Sauna. Ja genau, so fühlt sich der Klimawandel an - nicht erst im Hochsommer. Bei allen klugen Argumenten ist dieser "Dampfhammer" der ideale Start für eine Architekturbiennale. Zumal sich Carlo Ratti, der Chefkurator dieser 19. Ausgabe, nicht mehr nur auf ein möglichst umweltschonendes und nachhaltiges Bauen konzentriert, sondern auf ein Leben und Wohnen in einer veränderten und vor allem überhitzten Welt.

Nur: Die Katze beißt sich ja in einer Tour in den Schwanz. Denn die Baubranche ist für 40 Prozent des globalen CO2-Ausstoßes verantwortlich. Ohne Beton geht halt (noch) nicht viel. Man müsste sofort aufhören, neue Häuser hochzuziehen. Auf der anderen Seite war der Bedarf an Wohnraum noch nie so hoch, gerade in den Städten, wo mittlerweile mehr als die Hälfte der acht Milliarden Menschen lebt.
Wer dazu einen Blick auf die Wärmebildaufnahmen von Stadt und Land tut, realisiert sofort, wo es brennt. Am Gendarmenmarkt in Berlin, rund um den Frankfurter Römer und am Münchner Marienplatz ist es knallrot, im Englischen Garten dagegen grün. Das bedeutet um die zehn Grad weniger.

Im Deutschen Pavillon wird solches mit eindrucksvollen Grafiken vermittelt. Man weiß das alles irgendwie und schiebt es doch beiseite, bis man im Hauptraum in den Sog einer im besten Sinne suggestiven Videoprojektion gerät.
Zur grünen Rettung vor dem Kollaps singt Maria Callas
Die gleitet durch schöne Städte wie Rom und Paris. Dann sieht man Bagger und Betonmischer, Stahl und Glasfassaden, die Temperaturen steigen unangenehm, Mücken und Ameisen vermehren sich. Erschöpfte Menschen blicken einem entgegen. Aber es kann auch wieder kühler werden - unter Pflanzen natürlich, die sich in Tankstellen und Bunkern ausbreiten. Dazu klingt die Stimme von Maria Callas, die mit Bellinis "Casta Diva" um Frieden bittet, auch das ist höchst aktuell, und dabei vom "Feuer" singt, das in den Herzen beruhigt werden möge.

Manchem könnte das zu pathetisch sein, doch mit bloßer Faktendrescherei kommt man nicht mehr weiter. Und wer es immer noch nicht wahrhaben will, darf sich dem titelgebenden "Stresstest" nebenan unterziehen, wo urbane Sommerhitze simuliert wird. Das erfordert eine gewisse Contenance, und man sieht es ja an den Farben der Wärmebildkamera, was der Körper und besonders der knallrote Kopf so mitmachen.
Die Besucher bleiben jedenfalls nicht länger als nötig und wechseln schnell in den "Destress"-Raum des Pavillons, um umweht von einem kühlen Lagunenlüftchen unter Hainbuchen wieder auf Wohlfühltemperaturen zu kommen. Man muss es betonen: Der preiswürdige Beitrag des Architekten- und Landschaftsarchitekten-Teams um Nicola Borgmann, Leiterin der Münchner Architekturgalerie, Elisabeth Endres, Gabriele Kiefer und Daniele Santucci gehört unbedingt über die Biennale hinausgestreut.

Etwas von dieser Klarheit hätte man sich auch für die Hauptschau des Architekten, Ingenieurs und renommierten Hochschullehrers Ratti gewünscht. Der Zentralpavillon in den Giardini ist renovierungsbedingt geschlossen, in den Arsenale, also der alten Schiffswerft, war die dichte Aufeinanderfolge der Beiträge wohl nicht ganz zu vermeiden. Aber um die Lösungsangebote einer umwerfend anpassungsfähigen Natur oder deren Zusammenspiel mit der Technik vor Augen zu führen, hätten es deutlich weniger als 750 Positionen sein dürfen. Wünschenswert wäre stattdessen mehr Vermittlung. Ganz unabhängig davon, ob man sich im Bereich der "natürlichen", der "künstlichen" oder der "gemeinschaftlichen Intelligenz befindet.
Zusammenarbeit mit Bakterien
Die Ergebnisse sind ohnehin überraschend ästhetisch. Wer ein hässliches, nur mehr funktionales Bauen befürchtet, wird angetan sein, von superleichten Ziegeln auf der Basis von Pilzkulturen, von strapazierfähiger Ananashaut und von Elefantendung, der sich zu Streben gepresst in eine elegante Kapelle verwandelt. Vielleicht sollte sich der Mensch künftig nicht mehr als Mastermind begreifen und sich mit Bakterien zusammentun, nun ja, erst mal von ihnen lernen, wie rasend schnell Strukturen entstehen können und genauso, wie man energetisch aufwendige Prozesse spontan in eine Art Stand-by-Modus runterfährt, um Ressourcen zu schonen.

Welche Rolle die Künstliche Intelligenz dabei spielt? Es sind sympathische Roboter unterwegs, die selbst die blödsten Fragen beantworten: "Sprechen Sie Bairisch?" - "I red a bissl Bairisch." Sie träumen sogar, und das mit allen menschlichen Schlafanwandlungen. Interessant wird es im Handwerk. Den Flughafen der bhutanischen Stadt Gelphu zum Beispiel sollen traditionell geschnitzte Ornamente zieren. Dafür fehlen die Handwerker, teuer ist das sowieso, also plant der dänische Architekt Bjarke Ingels mit einem Robo-Kunstdrechsler. Der fährt die Formen ab, die zwei echte Schnitzer im Schweiße ihres Angesichts mit dem Stechbeitel aus dem Holz schälen, adaptiert das und wird alsbald selbst loslegen.
Wie wär's mit einem Astronautenanzug fürs Haus?
Auch in der Verbindung von Bäumen und Kunststoffen könnte eine Lösung liegen. Algen und überhaupt Pilze besitzen ein geradezu magisches Potenzial, erfährt man. Aber das sind eben Ideen und Experimente. Vieles kann man sich nicht im großen Stil vorstellen, doch in einer Zeit des totalen Umbruchs braucht es Visionen. Denn es gibt keinen Planeten B, betont Carlo Ratti. Was nicht heißen muss, dass man sich die Ergebnisse der Weltraumforschung verkneifen sollte.
Warum nicht einem Haus einen Astronautenanzug überziehen, um es gegen die Sonnenstrahlen zu schützen? Oder Abwasser in Kaffee umwandeln. Der Lavazza-"Canal Water Espresso" draußen an den Schiffsbecken schmeckt jedenfalls sehr ordentlich.
Architekturbiennale "Intelligens. Natural. Artificial. Collective", bis 23. November, www.labiennale.org
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