Kritik

Das „Lebensbaumprojekt“ von Ernst Gamperl

Der Münchner Künstler Ernst Gamperl ist ein fabelhafter Drechsler. Nun sind seine Arbeiten im Bayerischen Nationalmuseum zu sehen
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Tänzerin Loïe Fuller bildet ein wunderbares Pendant zu einem besonders schwungvollen Objekt Ernst Gamperls.
Tänzerin Loïe Fuller bildet ein wunderbares Pendant zu einem besonders schwungvollen Objekt Ernst Gamperls. © Emmanuel Crooÿ

Gleich auf mehrere Räume verteilt sich ein veritabler Gigant. Allerdings ist er unfassbar leicht geworden, zart wie eine Elfe, möchte man fast sagen. Um die 100 Objekte sind aus ihm entstanden, Vasenförmiges und Skulpturales hat der Münchner Ernst Gamperl aus einem nahezu 250 Jahre alten Baum geschaffen, dessen Metamorphosen nun im Bayerische Nationalmuseum erzählt werden.

2008 verlor die Eiche bei einem Sturm die Haltung, plötzlich ist sie umgefallen. In Rott am Inn lagen damals 33 Tonnen einfach so am Wegesrand. „Niemand wollte sich auf dieses Trumm einlassen“, erinnert sich Gamperl. Doch der Bildhauer sah bald die Chance, etwas völlig Ungewöhnliches in Angriff zu nehmen. Zumal die Dimensionen auch für seine Werkstatt nicht zu fassen waren. Zumindest nicht für die in der Nähe des Gardasees.

Deshalb ist er mit den Stammabschnitten, die er mühsam nach Italien transportiert hatte, wieder zurück in die Heimat nach Steingaden gefahren, um anzubauen. Die Drechselbänke hat Gamperl erweitert und neue Kettensägen besorgt.

Der Münchner Künstler Ernst Gamperl inmitten seines „Lebensbaumprojekts“, das er 2008 begonnen hat. Damals lag ein 33 Tonnen schweres Trumm Eiche vor ihm, jetzt kann man die fast 100 Objekte, die aus dem Baum entstanden sind, locker hochheben.
Der Münchner Künstler Ernst Gamperl inmitten seines „Lebensbaumprojekts“, das er 2008 begonnen hat. Damals lag ein 33 Tonnen schweres Trumm Eiche vor ihm, jetzt kann man die fast 100 Objekte, die aus dem Baum entstanden sind, locker hochheben. © Bernhard Spöttel

Denn so filigran am Ende alles daherkommt – der Anfang ist brachial. Auf der Drehbank lag eine halbe Tonne, mindestens, und es ging wild zur Sache, die Entscheidungen mussten schnell getroffen werden. Doch nun könnte man die Gefäße und Skulpturen fast mit dem Finger hochheben: Drei bis vier Kilo sind noch übrig, das heißt, die wenige Millimeter dünne Haut, denn das Innere hat Gamperl herausgefräst.

In der Schweiz und in Südkorea geschätzt

Wie genau, das ist sein Betriebsgeheimnis. Nur so viel: Wenn es nicht gleichmäßig abläuft, reißt das Holz. Wobei die mit Schwalbenschwanzfedern „reparierten“ Stücke ihren Reiz haben. Sie bleiben natürlich die Ausnahme, und man kann sich sehrwohl vorstellen, wie lange selbst ein versierter Schreiner und Holzbildhauer herumexperimentiert, um zu solchen Ergebnissen zu kommen.

In der Schweiz und in Korea, wo Gamperl sein „Lebensbaumprojekt“ in großen Ausstellungen gezeigt hat, waren die Menschen völlig außer sich vor Begeisterung. Besonders die Fachleute, die wissen, wie schwierig dieses einst so bedeutende Kunsthandwerk ist.

Noch bis in die Nachkriegszeit haben die Bauern im Winter allerlei Holzgefäße für den Haushalt gedrechselt. An den barocken Fürstenhöfen kam dagegen wertvolles Elfenbein zum Einsatz. Das Drechseln gehörte zur Ausbildung junger Adliger, übrigens an anspruchsvollen Maschinen. München hat dabei in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine herausragende Rolle gespielt. Am Hof wurde von Giovanni Ambrogio Maggiore das sogenannte Ovaldrehen erfunden, also das hochartifizielle achsensymmetrische Drechseln.

Arbeiten von Ernst Gamperl im Nationalmuseum.
Arbeiten von Ernst Gamperl im Nationalmuseum. © Bastian Krack

Die Sammlungen des Nationalmuseums sind entsprechend reichhaltig. Bekrönte Pokale, Dosen und Becher - einiges sogar von Herzog Maximilian I. - mit den Objekten Gamperls in einen Dialog treten zu lassen, lag auf der Hand. Aufs Erste könnten die Gegensätze kaum größer sein, und doch geht es auf beiden Seiten um Präzision. Beim Trocknungsprozess überlässt Gamperl zwar dem Holz das Zepter, ein genauer Blick auf die Oberfläche und die exakten Linien, die an die schmalen Mottleds edler Strohhüte erinnern, verraten dann doch den minutiös agierenden Feinwerker.

Manche Objekte schwingen aus wie Loïe Fuller beim Tanz

Aber es gibt eben auch den ausladenden Schwung, der in den Serpentinen der Tänzerin Loïe Fuller - in diesem Fall eine Art-Nouveau-Leuchte von François Raoul Larche - ein herrliches Pendant findet. Am Bayerischen Nationalmuseum kann man das alles problemlos vor Augen führen. Die Verlockung muss groß gewesen sein, die Vergleiche weiter auszureizen, auf der anderen Seite kann und soll Gamperls „Lebensbaumprojekt“ für sich stehen. Und Eiche ist nicht gleich Eiche.

Eine Arbeit von Ernst Gamperl.
Eine Arbeit von Ernst Gamperl. © Emmanuel Croy

Zwischen den Tönungen liegen manchmal Welten. Die traditionellen Substanzen, mit denen der vielfach ausgezeichnete Münchner seine Objekte bearbeitet, reichen von der Kalkmilch bis zu Gesteinsmehlen und Eisenoxid. In alten Materialarchiven spürt er die Rezepturen auf. Und Bienenwachs beschert zwischendurch das, was man mit der Eiche am wenigsten verbindet: Glanz.

Für den leidenschaftlichen Minimalisten mit Hang zur Poesie geht das schon in Ordnung. Irgendwie passt das ja zum 60. Geburtstag, den er in diesem Jahr feiert. Es darf halt nicht zu viel werden.

Ernst Gamperl, bis 5. Oktober im Bayerischen Nationalmuseum, Di bis So 10 bis 17, Do bis 20 Uhr, Publikation „Ernst Gamperl. Zwiesprache“ (Arnoldsche, 256 Seiten, 38 Euro); Filmpremiere „Ernst Gamperl - ein Meister des U-tsu-wa“, Donnerstag, 22. Mai, 19 Uhr im Filmmuseum; Ausstellung in der Galerie Handwerk vom 27. Juni bis 2. August

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