Das haut einen vom Sockel

Edel-Besenkammer mit Außenklo: Wohnen im Kunstprojekt „A Space Called Public“, das lässig den Wohnungsmarkt in München ironisiert
Marietta Taegener |
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Wann hat man sich schon mal vor den Augen von gestresst vorbeieilenden Anzugträgern und mops-ausführenden Chanel-Damen unter einem tropfenden Wasserkanister mitten in Münchens Edelzentrum die Zähne geputzt? Für mich zumindest war es das erste Mal!

Nach fünf Stunden Schlaf auf der gefühlten Fläche einer Bierbank machte ich mich frisch für die Arbeit. Kurze Zeit zuvor hatte mich in meinem Luxussockel ein überambitionierter Lüfter geweckt, der morgens um sieben ein Rauschen von 15 Schwertransportern produzierte. Luxussockel, das bedeutet: Ein Haus, zwei Etagen, die über eine steile Stiege miteinander verbunden sind. Eine Dachterrasse, ein separates Bad und alles umgeben von einem begrünten Vorgarten in bester Nachbarschaft zu Kurfürst Maximilian. Exklusivadresse: Wittelsbacherplatz 1, 5 Quadratmeter Wohnfläche, 1,5 Zimmer: 1,5. Geschosse: zwei. Baujahr: 2013, Parkettboden, Fernblick, Dachterrasse, Garten, nicht unterkellert.

Mein Einzug erfolgte 19 Stunden zuvor, als mir der Künstler Alexander Laner vom Kulturprojekt „A Space Called Public - Hoffentlich öffentlich" den Schlüssel übergibt: „Willkommen in deinem neuen Zuhause". Ich habe das gefeiert: Mit französischem Rotwein und feinstem Käsegebäck von Dallmayr lud ich Freunde und Kollegen zur Einzugsparty in mein neues Domizil auf die Dachterrasse ein.
Musikalisch wurde der Abend von einem spinnerten CD-Player begleitet, der Teil des minimalistischen Luxusinventars war und wegen eines Defekts nur eine einzige CD abspielte. Das Kabel reichte gerade so vom ersten Stockwerk zur Dachterrasse, die Musik wechselte eigenständig zwischen brasilianischem Bossa Nova und schnulzigem Jazz.

Schaut man von der Terrasse auf die Köpfe der Passanten, die ihre neugierigen Blicke zu einem nach oben ragen, steigt einem nicht nur der Rotwein zu Kopf: Man hat mit einem Mal die Macht Neidern zu sagen: „Klar kommt doch rauf und trinkt ein Glas" oder „Nein, Privatgrundstück, Betreten leider verboten".

Leider blieb es uns allen im Laufe des Abends nicht erspart – egal wie königlich wir uns amüsierten – die notdürftige Notdurft im Bretterverschlag hinterm Sockel aufzusuchen und mit viel Mühe desinfiziertes Wasser aus der handbetriebenen Pumpe zu pressen. Als zu später Stunde noch mal der Hunger kam, wurde kurzerhand eine Quattro Stagioni beim Pizzadienst beordert. Aber wie erklärt man dem gebrochen Deutsch sprechenden Lieferanten am Telefon, dass er „einfach zum Wittelsbacherplatz 1 vis-à-vis des reitenden Kurfürsten" kommen soll? Das ging dann doch nur über Rufen und Winken.

Wohl genährt, beschwipst und mit einem Ohrwurm von südamerikanischen Klängen, schlief ich um zwei Uhr früh ein. Vielleicht machen nicht der Sockel samt Designermöbel, weißer Kieseln und Buchsbäumchen den puren Luxus aus, der durch seine Beengtheit auch die Situation des Wohnungsmarkts in München ironisiert. Der Luxus ist das unbezahlbare Erlebnis. Und es ist einer der wenigen Orte Münchens, an denen man – je nach Gehaltsklasse – eine geringere Miete zahlt, wenn man weniger verdient.

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