Gastbeitrag

Das Chaos fair deuten

Was ist hier warum antisemitisch? Eine Analyse - abseits der Aufregung - des Bildbanners "People's Justice" der Documenta.
| Joseph Croitoru
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Das mittlerweile abgehängte umstrittene Großgemälde des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi auf dem Friedrichsplatz in Kassel.
Das mittlerweile abgehängte umstrittene Großgemälde des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi auf dem Friedrichsplatz in Kassel. © Uwe Zucchi / dpa

Nach der Entfernung seines Monumentalbilds "People's Justice" von der Documenta fifteen wegen antisemitischer Bildsprache hatte sich das indonesische Künstlerkollektiv Taring Padi entschuldigt. Seine Mitglieder betonten, dass Antisemitismus "weder in unseren Gefühlen noch in unseren Gedanken" einen Platz habe und bedauerten, "eine mögliche Beteiligung der Regierung des Staates Israel" an den Schrecken der Militärdiktatur Suhartos "unangemessen" dargestellt zu haben: "Gewalt, Ausbeutung und Zensur" und insbesondere der "Massenmord an mehr als 500.000 Menschen in Indonesien im Jahr 1965, der bis heute nicht aufgearbeitet wurde".

Das Banner, so die Gruppe Taring Padi, versuche die "komplexen Machtverhältnisse" hinter diesen Ungerechtigkeiten aufzudecken. Es ist als Triptychon angelegt und zeigt einen Gerichtsprozess - deshalb auch der Titel "People's Justice". Im oberen Segment des Mittelteils halten Vertreter des malträtierten indonesischen Volkes Gericht über die in Gestalt von Hunden, Schweinen und Ratten erscheinenden Angeklagten. Es sind tote Opfer des Militärregimes, die hier aus dem Jenseits Gerechtigkeit fordern: Ihr Richtertisch, zugleich ein Käfig, in dem die Beschuldigten in einer Art Hölle auf ihr Urteil warten, schwebt auf einer großen grauen Wolke, zu der die Seelen der gemarterten Massen aufsteigen.

 

Umstrittenes Banner entstand bereits vor 20 Jahren

Das Banner entstand bereits 2002, nur vier Jahre nach dem Ende der Suharto-Diktatur. Viele Indonesier protestierten damals gegen ihre immer noch an der Macht verbliebenen Angehörigen sowie gegen die - bis heute - nicht stattgefundene Aufarbeitung ihrer Massenverbrechen. Ist dieser Protest Gegenstand des rechten "Flügels" des Monumentalbilds, hat der linke die einheimischen Täter und deren Unterstützer aus dem Ausland zum Thema, die hier in einer Art Parade zu Ehren des über ihnen thronenden überdimensionierten Potentaten aufmarschieren.

Die meisten dieser Uniformierten verkörpern ausländische Geheimdienste: ASIO (Australien), Mossad (Israel), MI-5 (Großbritannien), Marin (Anspielung auf CIA), und KGB (Sowjetunion). Mehrere haben Nasen, die an die Nüstern eines Schweins denken lassen - bei der Mossad-Figur, die zusätzlich durch einen Davidstern gekennzeichnet ist, sind sie besonders ausgeprägt. Auch die anderen "Geheimdienstler" sind als Schreckensfiguren gezeichnet und haben zum Teil Totenköpfe.

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Das Schwein ist bei Taring Padi ein häufiges Symbol für Kapitalismus und Geldgier. Die hiesige Assoziation zu antisemitischen Darstellungen europäischer Provenienz, in denen Juden mit Schweinen in Verbindung gebracht werden, greift im Falle der indonesischen Gruppe bei dem dargestellten Mossad-Agenten als ausschließliche Lesart doch etwas zu kurz: Die Sichtung etlicher Dutzend Bilder des seit seiner Gründung 1998 als linksrevolutionär auftretenden Künstlerkollektivs ergab, dass außer in "People's Justice" bei Taring Padi nirgends eine als jüdisch gekennzeichnete Figur auftaucht.

 

Als eindeutige Anleihe aus der okzidentalen antisemitischen Bildsprache ist hingegen die verfratzte Figur des gottesfürchtigen Juden einzustufen. Dass sie auch noch mit dem SS-Zeichen versehen ist, deutet darauf hin, dass sie einer Bild- und Diskurswelt entnommen ist, in der Israel in diffamierender Form unterstellt wird, die einst an den Juden verübten NS-Verbrechen nun selbst zu begehen - an den Palästinensern, die in dem Bild von Taring Padi allerdings deplatziert wären: Hier sind die Indonesier das Opfer. Mit dieser weiteren, als jüdisch konnotierten Gestalt, zumal von Teufelsfiguren umgeben, sollte wohl die Rolle des israelischen Staates bei der Unterstützung des Diktators Suharto hervorgehoben werden.

Weshalb aber diese Ressentiments besonders, aber nicht nur, gegen Israel und seinen Geheimdienst? Anders als in Indonesien und Israel ist hierzulande kaum bekannt, dass der Mossad, wie auch die sonst im Bild genannten Geheimdienste - und übrigens auch der BND - engen Kontakt zu Suharto und seiner Entourage pflegten.

Firmengründung für Handel mit Rohdiamanten

Weil Suharto offene Beziehungen zu Israel vermied, setzte der Mossad auf geheime Kooperation mit Vertrauten des Diktators. Staatsakten, die in Israel in den letzten Jahren freigegeben wurden, ist etwa zu entnehmen, dass eine Tarnfirma des Mossad im Mai 1967 einen Vertrag mit dem indonesischen Staatsunternehmen PP Berdikari schloss. Die israelische Seite sollte neben Phosphaten und Pestiziden auch "militärische Ausrüstung" und "Militäruniformen" liefern.

Zwei Monate später reiste Berdikari-Firmenchef General Suhardiman gemeinsam mit dem Leiter der indonesischen Staatsicherheit Yoga Sugama nach Jerusalem, um über weitere Waffengeschäfte zu verhandeln. Um auch mit Rohdiamanten zu handeln, gründeten im Oktober 1968 der Mossad und seine indonesischen Partner in Hongkong eine gemeinsame Firma. Vertrauensmann der Israelis war ein gewisser General Ali, vermutlich Ali Murtopo, Leiter der geheimen indonesischen Spezialeinheit OPSUS.

Als Jahrzehnte später der israelische Ministerpräsident Itzhak Rabin 1993 unter Vermittlung des Mossad Indonesien besuchte und in Jakarta Diktator Suharto traf, war es keineswegs seine erste Begegnung mit Angehörigen der indonesischen Staatselite: Teil des Israel-Besuchs von General Yoga Sugama 1967 waren auch Treffen mit Außenminister Abba Eban gewesen - und mit Generalstabschef Itzhak Rabin.

Dieser historische Hintergrund könnte erklären, weshalb "People's Justice" explizite Bezüge zu Israel enthält. Warum aber wurde die Figur des verfratzten Juden hier auch mit dem SS-Zeichen versehen, das Israel mit den Nationalsozialisten gleichsetzt? War hierfür womöglich ein damals aus dem eskalierenden Nahostkonflikt herrührendes Solidarisieren mit der palästinensischen Sache ausschlaggebend?

Auf wen geht die antisemitische Färbung des  Banner zurück?

Tatsächlich waren im Jahr 2002, dem blutigsten der Al-Aqsa-Intifada, mehr als tausend Palästinenser und rund 400 Israelis getötet worden. Ein damaliger australischer Film über das Künstlerkollektiv Taring Padi zeigt das Gründungsmitglied Yustoni Volunteero bei der Arbeit an dem Banner sehr nah an der Stelle mit der dämonisierten Judenfigur.

Kurz davor erscheint er mit einer schwarz-weißen Kufiya, dem "Palästinensertuch", um den Kopf gebunden vor der Kamera. "Toni" Voluteero verstarb 2018 unerwartet.

Die Frage, auf wen genau die antisemitische Färbung des Israel-Themas auf dem Banner zurückgeht, hat Taring Padi bislang nicht beantwortet.

Letztlich ist sie aber sekundär: Das Kollektiv hat sich ja zu seiner Verantwortung für diese in seinem gesamten Werk völlig isolierte antisemitische Übertreibung bekannt.

Seine Entschuldigung hätte man annehmen können, ohne zu versuchen, wegen eines 20 Jahre alten Bildes die ganze Kasseler Weltkunstausstellung zu diskreditieren.

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