Bayerischer Kulturpreis: Gerhard Polt wird staatstragend

Der Satiriker lässt sich im Kunstkraftwerk Bergson von Markus Söder ehren und übt nur sanfte Kritik an bayerischen Verhältnissen. Andere waren kritischer.
von  Robert Braunmüller
In der Mitte von links: Autorin Tanja Kinkel, Gerhard Polt, Ministerpräsident Markus Söder, Kunstminister Markus Blume und Sänger Benjamin Appl.
In der Mitte von links: Autorin Tanja Kinkel, Gerhard Polt, Ministerpräsident Markus Söder, Kunstminister Markus Blume und Sänger Benjamin Appl. © Imago

Die Zeit heilt nicht nur alle Wunden, sie schleift auch alles Kritische ab, bis es zuletzt staatstragend wird. In Gerhard Polts kreativster Zeit vor 40 Jahren hätten ihn Ministerpräsidenten wie Franz Josef Strauß, Max Streibl oder Edmund Stoiber kaum mit einem Ehrenpreis bedacht. Und ihm wäre es auch peinlich gewesen, ihn persönlich bei einer Gala abzuholen. Aber im Alter werden wir alle konservativ und CSU-nah. Das bayerische "Leben und lassen", gern falsch lateinisch auch als "Liberalitas" übersetzt, hat eben was Weltumarmendes.

Der Wurstkonsum des Ministerpräsidenten

So darf es einen nicht überraschen, dass Markus Söder nicht nur den 83-Jährigen im Bergson Kunstkraftwerk ehrt, sondern auch noch zwei vormalige Biermösler in einem Einspielfilm erklären, Polt hätte mit der ihm eigenen Kunst nie den Wurstkonsum des Ministerpräsidenten kritisiert, sondern den Werdegang der Wurst oder den Metzger dargestellt.

Für eine Messerspitze Selbstironie sorgte immerhin das Polt-Zitat, dass sich jeder Preis unerbittlich seinen Träger suche. Der Geehrte übernahm es außerdem, die an diesem Abend neunfach vergebene Figur aus Nymphenburger Porzellan zu erläutern: Ihr Name Zerbinetta sei die weibliche Form eines italienischen Wortes, das "Strizzi" bedeute.

Die beiden Markusse Blume und Söder mit Gerhard Polt in der Mitte.
Die beiden Markusse Blume und Söder mit Gerhard Polt in der Mitte. © Imago

Nachdem das geklärt war, lobte Söder noch seine freigiebige "Kulturmilliarde" und betonte, dass er nicht an Kultur zu sparen gedenke. Die acht Preiskategorien sind jeweils mit 10.000 Euro dotiert. Dass Geld keine Rolle spielt, wenn es seinen Glanz auf die Politik zurückwirft, beweist auch diese Preisverleihung: Sie ist der vom Freistaat selbst ausgerichtete Nachfolger eines vormals vom Bayernwerk gesponserten Kulturpreises, den 2023 die Band Dicht & Ergreifend mit der Begründung ablehnte, sie wolle nicht bei einer staatsnahen Werbeveranstaltung der Energiewirtschaft auftreten.

Das Bergson als besonderer Verleihungsort war nicht der "Besondere Ort"

Die 18 Bayerischen Kunstförderpreise, bisher vom Kunstminister Markus Blume bei einer eigenen Veranstaltung vergeben, bildeten diesmal eine Art Prolog im kleineren Rahmen. Eingegangen in den neuen Preis scheint auch der Staatspreis für Musik. Inwieweit dieses neue Ritual beibehalten, blieb offen. Der Kunstminister wirkte beim anschließenden Empfang aber entschlossen, die straff inszenierte Verleihung samt Fernsehübertragung im nächsten Jahr wiederholen zu wollen.

Geehrt wurden von einer Jury vorgeschlagene Preisträger in den offen formulierten Sparten Ausstellung, Stimme, Kreatives Schaffen, Innovation, Programm, Kulturbotschafter, Performance und Besonderer Ort.

Das Kunstkraftwerk Bergson in Aubing: Nicht als „Besonderer Ort“ geehrt, aber Verleihungsort.
Das Kunstkraftwerk Bergson in Aubing: Nicht als „Besonderer Ort“ geehrt, aber Verleihungsort. © Imago

Das alles klingt zwar auf den ersten Blick ein wenig befremdlich, ermöglicht aber eine breite Streuung der Preise abseits der großstädtischen Ballungsräume und der sogenannten Hochkultur. Von der Kunst-Burg Ranfeld im Bayerischen Wald ("Besonderer Ort") dürften in München die Wenigsten jemals gehört haben. Und vom Nürnberger Kinder- und Jugendtheater Pfütze auch nicht, das so heißt, weil sich im Wasser die Welt spiegelt. Auch der in London lebende und aus Regensburg stammende Bariton Benjamin Appl kann einen Booster für seinen Ruhm vertragen, die Nische "Kunstlied" sowieso.

Kardinal Marx lobt sich in feudaler Manier vor allem selbst

Etwas konventioneller wirkten die Ehrungen für das Haus der Kunst und die Schriftstellerin Tanja Kinkel, die in ihrer Dankesrede auf die Bedeutung der gescheiterten Revolution von 1848 für die moderne Demokratie hinwies. Bei der Ehrung für Christoph Kürzeder vom Freisinger Diözesanmuseum lobte sich Kardinal Marx in feudaler Manier vor allem selbst: Er sei als Entdecker und Förderer des Theologen und Museumsmannes für diesen mindestens so wichtig wie Kürzeder für ihn und die katholische Kirche.

Einen Überraschungspreis erhielt die Münchner Musikerin und Performance-Künstlerin Polina Lapkovskaja alias Pollyester. Sie erinnerte daran, dass Kunst nie nur die Leistung eines oder einer Einzelnen sei. "Ich möchte diese Ehrung stellvertretend entgegennehmen für die Szene in München, die ich sehr liebe und die es gerade nicht so leicht hat", sagte sie in Richtung Kulturreferat, Kämmerer und Oberbürgermeister.

Und ja, sanfte Kritik an gegenwärtigen bayerischen Verhältnissen übte Polt doch: Nach einer allgemeinen Lebensweisheit ("Wir geben der Lächerlichkeit durch unsere Existenz eine Chance") kam er auf einen Zeitungsbericht zu sprechen, der ihn heute an sein frühes Hörspiel "Als wenn man ein Dachs wär’ in seinem Bau" erinnert habe. Es handelte 1976 von Gentrifzierung, bevor es diesen Begriff überhaupt gegeben habe. Wenn er heute von Luxussanierungen und der Verdrängung alter Mieter lese, käme es ihm vor, als wolle die Zeit gar nicht vergehen. Sie heilt eben doch nicht alle Wunden.

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