Ausstellung „Geniale Dilletanten“ im Haus der Kunst
Kreischende Bohrmaschinen, ausgediente Auspuffrohre, mächtige Riesenhämmer und schrille Sägen dienten den Protagonistenbands „Einstürzende Neubauten“ oder „Ornament und Verbechen“ der „Neuen Deutschen Welle“ in den 80er Jahren als Musikinstrumente. Dass diese deutsche Punk-Musik mehr als nur Provokation, mehr als nur eine Reaktion junger Kreativer auf den Konservativismus von Kohl und Thatcher war – und so gut wie nie Sympathisantentum mit der RAF – zeigt nun eine mit dem Goethe-Institut erarbeitete Ausstellung im Haus der Kunst.
Unter dem – absichtlich orthografisch ungenügenden – Titel „Geniale Dilletanten“, der sich auf das gleichnamige Konzert von 1981 im Berliner Tempodrom bezieht, wird das Schaffen von 7 Bands mit Hilfe von Video-, Foto-, Text- und Musikmaterial veranschaulicht. Außerdem zieren Gemälde der „Neuen Wilden“ wie Bernd Zimmer, Elvira Bach, Rainer Fetting oder auch von Jörg Immendorf, Walter Dahn oder Markus Oehlen die Wände.
Warum? Weil sich diese „Subkultur der 1980er-Jahre in Deutschland“ (Untertitel der Schau) vor allem im Umfeld von Kunsthochschulen durch genreübergreifendes Experimentieren (frühes Cross-over) entwickelte. So war Oehlen etwa auch Musiker und DJ im Düsseldorfer Szenetreff Ratinger Hof. Zimmer präsentierte sein 28 Meter langes dreiteiliges Berliner Stadtbild von der Warschauer Brücke mit einem vorbeifahrenden S-Bahn-Zug im angesagten Kreuzberger Club „SO36“ – einen Tag lang. Länger ist es nun im Haus der Kunst zu sehen.
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Die kreativen Akteure trafen sich zum Spielen, Trinken, Tanzen, Diskutieren in teils illegalen Clubs, Plattenläden, Wasch- und Friseursalons wie Penny Lane/Köln, Rip Off/Hamburg oder Risiko und Kumpelnest/Berlin. Treffen, Konzerte, Aktionen sind mit Video-und Fotomaterial dokumentiert.
Ein Interviewfilm zeigt Einblicke in die Netzwerke und parallelen Entwicklungen in Kunst, Film, Mode und Design. Auch Modeschöpfer und das neue Deutsche Design von Gruppen wie „Möbel perdu“, „Barockoko“, „Kunstflug“ oder „Stiletto“ waren mit von der schöpferischen Partie, die freilich nur von kurzer Dauer war.
Dennoch schaffte es die von den Westberliner Kunststudenten Wolfgang Müller und Nikolaus Utermöhlen gegründete Band „Die Tödliche Doris“ mit ihrer experimentellen Musik, die auf defekte Tonbänder und Kassettenrekorder nicht verzichtete, 1987 auf die documenta 8. Von Beginn an war „Die Tödliche Doris“ ein konzeptionelles Kunstprojekt: Zur Musik entstanden Objekte, Installationen, Filme, Fotografien.
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Die Mitglieder bezeichneten das Ganze als „Popstar ohne Körper“ – wozu auch das Ende passt. Statt mit Musik präsentierte man sich 1988 in Tokio mit dem Theaterstück „Das war die Tödliche Doris“. Finale: Der Produzent tritt mit einer Flasche auf die Bühne und erklärt, die Band habe sich in Wein aufgelöst und schmecke gut.
Ähnlich theatralisch ging es bei den Münchnern von „Freiwillige Selbstkontrolle (F.S.K.)“ zu. Die vier Redaktions-Mitglieder des Underground-Magazins „Mode & Verzweiflung“ – Justin Hoffmann, Michaela Melian, Thomas Meinecke, Wilfried Petzi – traten zuerst einmal, wenn überhaupt, hinter Vorhängen und Plastikfolien auf. Passt zu der konsequent verweigerten „Forderung nach Authentizität“ und ihrer Maxime: „Keine schwitzenden Musiker .., nicht die eigene Befindlichkeit zelebrieren, ..“
Das Prinzip Provokation machte D.A.F. (Deutsch-amerikanische Freundschaft) hörbar. Songs wie „Der Mussolini“ oder „Der Räuber und der Prinz“ – hintergründig eine (homo-)erotische Rape-Phantasie – überschritten die Grenzen des damaligen guten Tons massiv.
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Das alles korrespondierte mit der Überzeugung, ein radikaler Bruch müsse stattfinden. Ein Mittel war eben der Dilettantismus. Denn der Dilettant kann – wie die Ostberliner von „Ornament und Verbrechen“ sagen – jedes Instrument spielen. Weil er die Spielweise komplett neu erfinden muss - und dann eine neue Musik entsteht.
Die künstlerische Wucht dieser Totalopposition, die mit brachialem Lärm und Krawall, mit Design und Mode jenseits jeden (guten) Geschmacks, mit einer neuen wilden Malerei gegen den herrschenden Zeitgeist opponierte, fand international Beachtung. Das förderte schließlich die beschleunigte Versandung im Kommerz – was aber ein anders Kapitel ist.
Haus der Kunst, bis 11.10, Mo-So 10 - 20 Uhr, Do bis 22 Uhr. Der Katalog erschien im Verlag Hatje Cantz (30 Euro)
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