Interview

Kulturkraftwerk Bergson - ein schönes Wagnis

Kulturkraftwerk Bergson: Im Münchner Westen entsteht ein kultureller Erlebnisort, der den neuen Zeitgeist spiegeln soll.
Adrian Prechtel
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Die historische Betondecke des Gebäudes musste aus statischen Gründen neu gegossen werden. Ansonsten wirkt der Raum des Bergson Kulturkraftwerks auch durch seine Geschichte. In den 90er-Jahren wurden hier noch Rave-Partys gefeiert. Im Keller stand das Wasser, was manche zum Bootsfahren nutzten.
Die historische Betondecke des Gebäudes musste aus statischen Gründen neu gegossen werden. Ansonsten wirkt der Raum des Bergson Kulturkraftwerks auch durch seine Geschichte. In den 90er-Jahren wurden hier noch Rave-Partys gefeiert. Im Keller stand das Wasser, was manche zum Bootsfahren nutzten. © Bernd Wackerbauer

München - In der Nähe des neuen Stadtentwicklungsraumes Freiham, zwischen Allach, Untermenzing und Aubing entsteht ein neues Kulturzentrum, das viel mehr sein will. Gebaut wird es privat von den Brüdern Amberger, die über die Kosten schweigen, aber es ist von rund 100 Millionen Euro die Rede.

Hier geschieht Großes

Wenn man die Baustelle besucht und Visualisierungen sieht, spürt man, dass hier im ehemaligen Kraftwerk, das in den 20er-Jahren geplant wurde und seit Anfang der 40er-Jahre hier steht, Großes geschieht. Als Eröffnungstermin ist der 10. Oktober 2023 angepeilt.

Michael Amberger (hier mit Katrin Habenschaden) leitet mit seinem Bruder Christian das Familienunternehmen Allguth.
Michael Amberger (hier mit Katrin Habenschaden) leitet mit seinem Bruder Christian das Familienunternehmen Allguth. © Bergson

AZ: Herr Amberger, wenn man im ehemaligen Kraftwerk steht, ist man überwältigt von der Raumhöhe, die Sie nicht durch Zwischendecken ruinieren. Das ist unökonomisch und purer Luxus.
MICHAEL AMBERGER: Unser Architekt hat uns vor Augen geführt, dass wir das römische Pantheon da reinstellen könnten. Aber es war uns wichtig, diese imposante Großzügigkeit des eleganten Industriebaus, der in den 20er-Jahren für Berlin entworfen und Anfang der 40er in München realisiert wurde, zu erhalten. Man sieht noch die Kohlesilos des Heizkraftwerkes, und darunter ist jetzt - wo früher der Heizkessel war - eine große, elegante Küche.

Das Kulinarische im Zentrum widerspricht doch einem "Kulturkraftwerk", das sie hier setzen wollen.
Nein, das Bergson Kulturkraftwerk soll ein Ort sein, zu dem man hingeht, um einfach dort zu sein, um einen Abend zu verbringen. Dazu gehört auch, dass wir schon jetzt einen bekannten kulinarischen Chef gewonnen haben, der vom Hotel Vier Jahreszeiten Kempinski in München kommt, aber eben auch Biergartenerfahrung hat. Er wird mit seiner Küche und vielen Dependancen im Gebäude und auf dem Gelände dafür sorgen, dass man Lust hat, auch zum Essengehen vorbeizukommen, vom Frühstück bis zur Mitternachtssuppe.

Das klingt hochgestochen.
Das täuscht, weil wir ein jüngeres Publikum gewinnen und dafür auch viel anbieten wollen.

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Kritik am klassischen Konzert

Jung und ein kultureller Kommunikationsort sein, wollen viele Orte.
Aber es funktioniert ja selten: Die meisten Theater oder Kulturzentren besucht man für ein bestimmtes Ereignis, für das man eine Karte gekauft hat. Wir glauben, dass das nicht die Zukunft ist, sondern dass die Leute einen ganzen Abend verbringen wollen, wobei das Kulturereignis nur ein wichtiger Teil oder der Auslöser ist. Ich habe nie verstanden, warum ein klassisches Konzert von 20 bis 22.15 Uhr mit kurzer Pause dauert: Man kann vorher nicht entspannt mit Freunden was Essen oder Trinken, danach ist es schon sehr spät und die Pause ist ein hektischer Nicht-Zeitraum ohne Qualität. Ist es nicht viel besser, man schafft einen Raum, der mehr bietet als ein zu massiv raumgreifendes Konzert oder Event, sondern einen lockt und fasziniert, um dort den ganzen Abend gemeinschaftlich zu verbringen, wobei das Konzert, die Ausstellungseröffnung, der Jazzabend nur ein wichtiger Teil ist, um zusammen zu sein?

Eine Visualisierung des Inneren. Die hängenden Betonpyramiden sind noch die alten Kohlesilos. Darunter wird eine Küche eingebaut.
Eine Visualisierung des Inneren. Die hängenden Betonpyramiden sind noch die alten Kohlesilos. Darunter wird eine Küche eingebaut. © Architekturbüros Stenger2

Sie bauen einen Konzertsaal für 450 Zuschauer an das alte Kraftwerk an, haben im historischen Teil kleinere Säle bis hin zu einem eleganten Club im Untergeschoss. So etwas kann man nicht kommerziell betreiben, sagen Kenner.
Doch, davon gehen wir aus, wir wollen den Beweis antreten, dass wenn man einen modernen Ort schafft, der den Zeitgeist trifft, dass man den auch selbsttragend betreiben kann. Der Ort soll so interessant sein, dass hier viele Menschen auch Räume oder ganze Teile des Gebäudekomplexes anmieten für Tage oder einen Abend, um etwas zu veranstalten oder zu feiern. Dann wird es Publikum geben, das zu Veranstaltungen kommt, Firmen sollen hier besondere Businessveranstaltungen machen können, weil wir nicht nur multifunktionale Räume haben, sondern Orte, die auch atmosphärisch atemberaubend sind: wie einen modernen Salon, der durch Glas in die große Industriehalle schaut bis hin zu einem 360-Grad verglasten Dachraum, dem Panorama. Auch eine Zeitschrift wie die "Vogue" könnte hier zum Beispiel Shootings machen.

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Schon immer die "bunten Hunde"

Trotzdem wirkt das Ganze mäzenatisch.
Aber ich will, wenn das ganze läuft, auch wieder "verschwinden" und wieder stärker meine Arbeit in unserem Unternehmen fortsetzen. Dass wir mit unserer Großinvestition erst einmal etwas der Gesellschaft zurückgeben, liegt in unserer Unternehmenskultur. Wir sind mittelständisch und mussten immer schauen, wie es weiter geht. Wir sind immer als "bunte Hunde" gesehen worden, was wir sportlich gesehen haben. Und jetzt haben wir den Mut, ein Kulturkraftwerk zu machen, das neue Formate ausprobieren will - in der Kunst, bei Konzerten, bei der Abendgestaltung. Es ist wie beim Augenarzt: Sie kommen hin und sehen verschwommen, und dann tasten sie sich mit immer besseren Gläsern an ein klares Bild. Genau daran arbeiten wir gerade im Team und brennen darauf, in Kürze ganz konkret sagen zu können, was den Besucher kulturell und in Sachen Lifestyle erwartet.

Ihr Areal liegt etwas im Niemandsland…
Es ist vom Hauptbahnhof München in 14 Minuten zu erreichen. Und wir liegen in einem Teil Münchens, der sich unglaublich entwickelt und weit ins Umland ausstrahlt: Das neue Viertel Freiham entsteht in unmittelbarer Nachbarschaft, das Fünf-Seenland ist direkt angebunden, auch haben Aubing, Unter- und Obermenzing kein kulturelles Zentrum oder einen magnetischen Ort zum Ausgehen…

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Aber ein S-Bahnhof wie Langwied bleibt als Entrée ein funktionaler Betonbahnhof.
Es wird so sein, dass man schon beim Anweg merkt, dass hier das Bergson in der Nähe ist. Ich kann mir auch vorstellen, dass man dann mit Elektrorollern anrollt. Und wer die nur sieben Minuten vom S-Bahnhof zu uns läuft, soll auch einen schönen Weg bekommen. Da werden auch ästhetische, charmante Vorschläge von uns an die Stadt kommen. Und Parkplätze gibt es auch genug.

Lauter Ideen für das Bergson

Was wäre Ihr Traum?
Ich habe da keinen, sondern eine Idee: Menschen wollen zusammen etwas erleben - mehr denn je, auch wenn Corona einmal der Vergangenheit angehört, aber Homeoffice, digitale Arbeitsplätze und digitale Wirklichkeiten werden ja stark bleiben. Da wird das Bergson ein Ort sein, der den Zeitgeist trifft, wo Leute zusammenkommen und dabei noch das Angebot haben, Kultur zu erleben, danach noch mit Künstlern zu reden oder nach einem Polit-Talk die Teilnehmer anzusprechen. Ich denke mir auch, dass wir Ensembles oder Künstler gewinnen, die hier wie ein Artist in Residence einen Anker haben.

Der Kraftwerksbau in einer Visualisierung mit dem neuen Anbau für das Elektra Tonquartier, einem Konzertsaal für 450 Plätze und einer Galerie.
Der Kraftwerksbau in einer Visualisierung mit dem neuen Anbau für das Elektra Tonquartier, einem Konzertsaal für 450 Plätze und einer Galerie. © Architekturbüros Stenger2

Was macht Sie so sicher, dass das Bergson in Ihrem Sinne funktionieren wird?
Unsere Gesellschaft ist nicht mehr so gleichförmig wie früher und darauf muss ein Kultur-, Kunst- und Lebensort auch reagieren. Das Bergson soll da die Vielfältigkeit spiegeln. Warum soll ein Konzertsaal nicht vom Vormittag bis nachts im Einsatz sein? Eine Galerie offen sieben Tage von 10 bis 22 Uhr begehbar sein? Warum soll es nicht bis Mitternacht etwas zu Essen geben, eine Tages- neben einer Nachtbar existieren?

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3 Kommentare
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  • Neuhauserin am 22.08.2022 10:47 Uhr / Bewertung:

    Kare in der Drygalskiallee hat es für seine Zwecke vorgemacht, also nicht so neue Idee.

  • DerMünchner am 22.08.2022 10:40 Uhr / Bewertung:

    Sehr schönes Projekt. Endlich mal was Neues in München. Gerade die Aussage hat mir gefallen:

    "Unsere Gesellschaft ist nicht mehr so gleichförmig wie früher und darauf muss ein Kultur-, Kunst- und Lebensort auch reagieren. Das Bergson soll da die Vielfältigkeit spiegeln. Warum soll ein Konzertsaal nicht vom Vormittag bis nachts im Einsatz sein? Eine Galerie offen sieben Tage von 10 bis 22 Uhr begehbar sein? Warum soll es nicht bis Mitternacht etwas zu Essen geben, eine Tages- neben einer Nachtbar existieren?"

    Das sollten sich grad die Ewiggestrigen durchlesen und drüber nachdenken.

  • mausundkatz am 22.08.2022 09:52 Uhr / Bewertung:

    Vorbildlich, dass (und vor allem wie) die Habenschaden den Bauhelm auf hat.

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