Krach um Kracht

Erst warf „Spiegel“-Redakteur Georg Diez dem Autor Christian Kracht vor, ein fragwürdiges Menschenbild zu propagieren, dann wurde der Journalist selbst Zielscheibe wütender Kritik
Volker Isfort |
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Der Vorwurf hatte es in sich: Vor drei Wochen warf „Spiegel“-Redakteur Georg Diez dem Schweizer Autor Cristian Kracht in einem Artikel vor, eine rassistische Weltsicht zu vertreten und „Türsteher der rechten Gedanken“ zu sein. Diez erntete einen Sturm der Entrüstung, Krachts Verleger Helge Malchow konterte ebenfalls im „Spiegel“, in dem heute Diez wiederum seine Replik äußert.
Zahlreiche deutsche Autoren von Uwe Timm bis Daniel Kehlmann nahmen unterdessen Kracht in Schutz. Und der ganze Wirbel hat zumindest bewirkt, dass Krachts neuer Roman „Imperium“ der bislang größte Erfolg des Autors ist. In dem Buch erzählt Kracht die Geschichte des Aussteigers August Engelhardt, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Südsee ein vegetarisch-nudistisches Weltreich gründen will.

AZ: Herr Diez, würden Sie heute den Artikel noch einmal so verfassen?

GEORG DIEZ: Ja, die Vorgehensweise von mir war ja eine rein journalistische. Es ging darum, den Schriftsteller Christian Kracht in seiner ganzen komplexen, widersprüchlichen, provokanten, von vielem Raunen umgebenen Art zu reflektieren. Man kann ja komplett anderer Meinung sein als ich, man sollte sich aber wenigstens die Belege anschauen, die ich aus dem Briefwechsel mit David Woodard und aus Krachts vorherigen Werken zusammengetragen habe. Die meisten versuchen, Krachts neuen Roman „Imperium“ außerhalb dieses Kontextes anzusiedeln, ich habe mich dafür entschieden, den Roman in Krachts gesamtes Schaffen einzuordnen.

Trotzdem müssen Sie das Gefühl bekommen haben, allein auf weiter Flur zu stehen.

Vielleicht, aber mit dem Ergebnis meiner Recherche hat sich doch keiner meiner Kritiker richtig auseinander gesetzt, das ist das bislang Überraschende für mich an der Diskussion, abgesehen von der einheitlichen Schärfe, die mir entgegen hallt.

Ihnen wird auch vorgeworfen, Krachts Ironie nicht erkannt zu haben.

Das ist ein Urteil, das jedem Kritiker erlaubt ist. Es gibt ja kein Ironiegesetz. Was ist denn eigentlich passiert? Ein Schriftsteller schreibt ein Buch, ein Kritiker liest dieses Buch, versucht seine Meinung mit Argumenten zu unterlegen und publiziert seine Kritik. Daraufhin wird dieser Kritiker extrem angegriffen. Das ist erst einmal in Ordnung. Das Merkwürdige ist meines Erachtens, dass die Diskussion zu solchen Extremen geführt wurde: Dass Schriftsteller plötzlich von der Freiheit der Kunst sprechen, die angeblich durch meinen Artikel in Frage gestellt werde. Diese Reaktion kann ich nicht nachvollziehen. Sie macht mich auch ein bisschen ratlos.

Sie sind nicht der Erste, der Christian Kracht politisch merkwürdig findet, die „SZ“ tat dies vor ein paar Jahren auch. Aber Sie beziehen nun die Prügel.

Ja, das wundert mich auch. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass man dem „Spiegel“ eine besonders hohe Deutungsmacht zurechnet.

Sie schießen mit Ihrer Kritik gegen Krachts Verlag Kiepenheuer & Witsch, in dem Sie 2009 selbst mit „Der Tod meiner Mutter“einen bewegenden Bestseller publizierten.

Ich wüte nicht gegen meinen Verlag. Ich sehe den Verlag als Teil einer demokratischen Öffentlichkeit, wo es keine Meinungsverbote gibt, wo jeder Journalisten und Autor schreiben kann, wie er es will.

Ihr Verleger Helge Malchow hat sich auf zwei Seiten im „Spiegel“ gegen Ihren Artikel ausgesprochen. Glauben Sie, dass Sie noch ein Buch bei Kiepenheuer & Witsch veröffentlichen könnten?

Ich glaube auf jeden Fall, dass weiterhin die Grundlage einer Zusammenarbeit gegeben ist. Diese Offenheit muss schon sein, dass jeder seine Meinung darstellt. Ich finde es auch richtig, dass Helge Malchow seinen Autor Christian Kracht beschützt.

Sie sind ebenfalls vom „Spiegel“-Kollegen Jakob Augstein online kritisiert worden.

Das gehört einfach zu einer demokratischen Mediengesellschaft dazu.

Geht einem so starke Kritik persönlich an die Nieren?

Es ist eine interessante Erfahrung, die man – wie alles, was einem im Leben widerfährt – auch produktiv nutzen kann. Es erweitert den Horizont und schärft den Blick für die Macht der Presse.

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