Klatsch, Neid und Missgunst
Gustav feiert seinen Comeback-Auftritt und erklärt erst einmal, was er nicht singen wird. Früher trat der Star aus Schweden, wenn er in München war, nicht im eher familiären Rahmen des Metropoltheaters auf, sondern vor 20 000 Leuten in der Olympiahalle. Dann passierte "diese Sache", und Gustav war weg vom Fenster.
Mehr als skandinavische Volkslieder oder alte Hits von Abba sind nicht mehr erlaubt. Berühmt wurde er mit der Verwandlung von Folklore zum gefälligen Ehtnokitsch: Klezmer-Klänge, die Musik der Beduinen, die Gesänge der Eskimos oder "Haiti-Voodoo"-Songs, mit deren Erlösen immerhin Kliniken und Waisenhäuser in Haiti finanziert werden konnten.
Doch das Schicksal vom alternden Popstar ist nur eine der fiktiven Geschichten, die Yael Ronen in "Slippery Slope" erzählt. Die Story vom "glitschigen Abhang", auf den sie ihre Figuren führt, ist das wohl derzeit Triftigste, was die Kultur selbst über das Thema Cancel Culture zu sagen hat. Ganz bescheiden wird das Werk als "fast ein Musical" angekündigt, aber die Songs, die Shlomo Shaban beisteuerte, sind nicht einfach Begleitmusik, sondern fassen die Handlung einerseits zusammen und treiben sie mit den pointierten Texten auch immer wieder weiter.
Musikalisch werden die letzten Jahrzehnte vom guten alten Blues über den pathetisch klebrigen Schlager bis zum heutigen munteren Pop aufgerufen. Die elektronischen Sounds der Gegenwart vertritt die Sängerin Sky (Stephanie Marin), nachdem sie sich neu erfand. Sie hatte ihre Karriere mit Folklore der Roma und als Gustavs Partnerin begonnen, aber nach einer künstlerisch wie erotisch intensiven Affäre mit dem Weltstar steigt sie erst einmal aus. Mit neuem Look und aktuellem Sound hat sie inzwischen 90 Millionen Follower bei TikTok, während Gustav (René Dumont) zuletzt mit nur 5000 Anhängern twitterte.
Doch dann kamen die Vorwürfe von "kultureller Aneignung" und "rassistischer Auffassung". Sky startet eine Kampagne gegen Gustav, denn der räuberte sich nicht nur profitabel durch die Weltmusik, sondern ist auchMusterbeispiel toxischer Männlichkeit.
Klatsch, Neid und Missgunst in der Welt der Schönen, Reichen und Prominenten ist nicht neu, doch Ronen führt in das bisher von der Yellow-Press beherrschte Territorium die neuen und äußerst mächtigen Mitspieler ein: Die Boulevard-Amateure der Social Media mit ihren millionenhaft versendeten Hassbotschaften. So dauert Skys Triumphzug durch die sozialen Netzwerke nicht lange, denn die Shitstorms richten sich bald auch gegen sie selbst.
Parallel dazu bastelt mit zunächst großem Erfolg Gustavs Ehefrau (Judith Toth) an ihrer Karriere als Zeitungsverlegerin, die freilich eine Leiche im Keller hat, die sie erpressbar macht. Zu ihrer Redaktion gehört auch eine radikalfeministische Journalistin (Ina Meling). Mit Hilfe der "Pornokünstlerin" Debbie gelingt ihr mit einem Artikel, einen Sexfilmproduzenten zu zerstören. Debbie wird von Philipp Moschitz gespielt, der auch Skys neuen Partner Shantez oder Gustavs 80-jährige Agentin Vivian spielt. Und, nicht zuletzt, ist Moschitz der Regisseur des Zeitgeistspektakels.
Alles Schrille dieser Satire kommt bei ihm überraschend gedämpft herüber und auch die titelgebend rutschigen Schrägen übersetzt Bühnenbildner Thomas Flach in einen wohlgeordneten Raum aus in die Tiefe gestaffelten Rahmen zwischen Glitzervorhängen. Einerseits wäre etwas mehr Mut zum Übermut vorstellbar gewesen, doch so lenkt nichts ab von den Qualitäten des Ensembles. Die Truppe kann Musical mehr als nur "fast", singt fabelhaft und tanzt in den Choreografien von Katja Wachter begeisternd.
Witzigerweise ist "Slippery Slope" jetzt an dem Theater zu sehen, das selbst eine Cancel-Culture-Debatte am Hals hatte, nachdem Hausherr Jochen Schölch seine Inszenierung des Stückes "Vögel" nach Antisemitismusvorwürfen selbst abgesetzt hatte.
Metropoltheater, 11. bis 13., 16. bis 19., 21., 24., 27., 30. Juli, 19.30 Uhr, Telefon 32 19 55 33
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