Kir Royal: Die letzten Baby-Geheimnisse
Eine Marlboro, ein Glaserl Schampus: Beim Frühstück im Bett bleibt sich Baby Schimmerlos treu. Auch verkatert am frühen Morgen. Also irgendwann nach neun. Seine Freundin Mona rechnet derweil am Schreibtisch die Spesen zusammen. Über 7000 Mark in 14 Tagen.
So lernen die Fernsehzuschauer Schimmerlos kennen, Klatschreporter der „Münchner Allgemeinen“. Eine Persiflage auf Michael Graeter, den Leute-Kolumnisten der Abendzeitung. Es ist der 22. September 1986. Montag. Erste Folge, ARD, saukomisch und -teuer, gedreht von Regisseur Helmut Dietl. Zum 25. Jubiläum sieht sich die AZ diese erste Folge nochmal an. Mit wem? Natürlich mit Michael Graeter.
Die besten Sprüche aus Kir Royal gibt's hier:
Vorher erzählt Graeter , wie alles entstand: „Dietl war Stammgast in meinem Schwabinger Café Extrablatt – so wie sein Produzent Jürgen Dohme und einer vom WDR. Sie wollten nach dem Ende von Monaco Franze eine neue Figur erfinden, einen Klatschreporter. Und fragten mich, ob ich helfen könne.“ Er konnte: „Etwas später sind wir zusammen nach Los Angeles geflogen – um die Story auszutüfteln. Dietl hatte sich am Sunset einen Bungalow gemietet. Unser Arbeitsplatz für vier Wochen.“ Aus Graeters Erlebnissen strickt Dietl seine Serie.
Im Vorspann kreisen Schampusgläser, die Titelmelodie pfeift Konstantin Wecker.
Das mit dem Serientitel sei so eine Sache gewesen, sagt Graeter: „Er entstand im Extrablatt, beim Blick auf die erste Position der Speisekarte: ,Kir Royal? Was is’n des?’ Ich ließ Champagner – drei Grad! – mit Cassis servieren. Spontan wurde der Begriff als Arbeitstitel hergenommen. Fast hätte ihn Dietl wieder verworfen, weil er sich bei diesem Fremdwort nicht ganz sicher war.“
Die Einstiegsszene mit Baby beim Hallodri-Frühstück im Bett. Darsteller Franz Xaver Kroetz bekommt später Heiratsanträge mit der Fanpost
Graeter hätte die Rolle gern anders besetzt. „Ich wollte unbedingt Helmut Berger als Schimmerlos haben, mit schwarzen Haaren. Wir haben uns dreimal mit ihm getroffen, auch Helmuts Frau Karin Dietl-Wichmann war im Restaurant „Le Dome“ dabei. Aber zum Schluss hat sich Dietl nicht getraut: Er fürchtete, Berger könnte durchdrehen und zur Hälfte der Arbeiten abspringen – obwohl er in Aussicht gestellt hatte, dass die Denver-Clan-Stars Joan Collins und Linda Evans – als Verlegerin – mitspielen würden.“
Dann verrät Graeter, was kaum jemand weiß: „Dietls erste Wahl fiel auf Nikolaus Paryla, einen Österreicher. Nach zehn Drehtagen war auch Dietl klar, dass Paryla kein Schimmerlos war. Das Zeug wurde weggeschmissen – zum Leidwesen der Produzenten. Die Suche begann erneut. In dieser Zeit kam Kroetz, der noch nie vor der Kamera gestanden hatte, zufällig bei der Diana-Film vorbei. Man machte Probeaufnahmen. Er bekam die Rolle – auch weil er eine wichtige Voraussetzung erfüllte: Ihm passten die Klamotten, die teuer für Paryla angefertigt worden waren.“
Szene in der Redaktion. Sekretärin Edda (Billie Zöckler) und Fotograf Herbie Fried (Dieter Hildebrandt) versuchen, ein paar Namen von Bekannten in die Schimmerlos-Kolumne zu schmuggeln. Baby tobt: „Wer reinkommt, das bestimm ich! Ich! Und sonst niemand!
Graeter schmunzelt. „Frau Roth, meine Sekretärin, hat vier Wochen kaum mehr mit mir gesprochen – wegen Eddas, also Billie Zöcklers Kuhblick: ,Aha, so sehen Sie mich also!’ Heute ist sie immer noch meine Assistentin. Wir sind per Sie bis zur Stunde, haben aber die größte Vertrauensbeziehung. Hildebrand dagegen ist Franz Hug, eins zu eins. Mein Fotograf, der überall mit mir hingegangen ist. Auch durch dick und dünn.“
Auftritt Mario Adorf als Generaldirektor Heinrich Haffenloher, ein geltungssüchtiger Klebstoff-Fabrikant aus der Provinz, der es in München krachen lassen will. Sein Traum: In Schimmerlos’ Kolumne aufzutauchen. Notfalls würde er dafür bezahlen. Sogar sehr viel.
„Adorf ist so göttlich.“ Graeter lacht. „Im Film war’s ein Klebstoff-, in Wirklichkeit ein Lackfabrikant aus Klingenberg, der Christine Kaufmann und Marisa Mell gesponsert hat. Wann immer er mich traf, drückte er mir seinen Lebenslauf rein, den ich schon synchron mitsprechen konnte.“
Bei Haffenloher sei noch eine andere Figur angespielt. „Ein Banker“, sagt Graeter. „Zur Eröffnung des Pick-up-Ladens Boccaccio, wo feine Herren und schöne Mädchen verkehrten, lobte er meine Arbeit, und als er mir die Hand reichte, war ein Stück Papier drin: ein Tausender. ,Statt Blumen’, sagte er. Ich entgegnete, ich sei nicht der Kellner. Als Café- und Kino-Besitzer war ich ohnehin komplett unabhängig. Ich sagte: ,Ich habe eine gute Idee.’ Ich ging mit ihm an die Bar und überreichte den Schein den Bardamen als Trinkgeld. Ich musste nie mehr im Boccaccio an der Bar einen Drink bezahlen.“
Um Schimmerlos näher zu kommen, jagt ihm Haffenloher durchs Nachtleben nach – in die altrömische Dekadenz des Restaurants „Villa Medici“.
Graeter: „Gemeint war das Tantris. Gedreht wurde in der Aussegnungshalle des Ostfriedhofs, die Drehgenehmigung kostete 615 Mark. Der Bestattungsunternehmer Denk hat sich schwer aufgeregt.“
Haffenloher verfolgt Schimmerlos ins Restaurant Champs-Elysées, das von einem überdrehten Wirte-Duo geführt wird.
„Eine Anspielung auf Kay Wörsching und seinen Freund Achim Neumann von ,Kay’s Bistro’ am Viktualienmarkt“, erzählt Graeter. „Die boten sich an, weil sie wirklich so überdreht waren: alle drei Monate ein anderes Dekor.“
Haffenloher bedrängt Schimmerlos, ihn in der Kolumne zu erwähnen. Adorfs Monolog in rheinischer Mundart bleibt Fans unvergessen: „Isch kauf disch einfach. Isch schieb et dir hinten und vorne rein. Isch scheiß disch sowas von zu mit meinem Jeld. Gegen meine Kohle haste keine Schangse.“
Schimmerlos resigniert. In der Schluss-Szene raucht er einsam vor einem Party-Lokal.
Halb Deutschland hat das damals am Fernseher verfolgt, montags, sechs Folgen lang. Graeter hat sie verpasst: „Ich war immer unterwegs.“ Er lächelt. Was er gerade gesehen hat, gefällt ihm. Ein Schlusswort hat Graeter noch. „Schimmerlos – das bin ich nicht. Das ist nur mein Berufsbild, von Dietl auf den Arm genommen. Anders als Baby rauche ich nicht, hatte nie einen Bart und fuhr ein weißes Käfer-Cabrio, keinen Porsche.“ Aber mit diesem Baby Schimmerlos kann er ganz gut leben. Bis heute.
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