"Wild": Vom Ruf der Wildnis
München - Bizarr ist dieser Film – nur auf den ersten Blick. Auch wenn eine junge Frau in der Mitte mit „ihrem“ Wolf Sex haben wird. Aber „Wild“ zeigt eine psychologische Entwicklung, die zwar radikal ist, aber letztlich nur die Konsequenz all unserer Ausbruchsfantasien.
Ania lebt in einer Hochhaussiedlung, arbeitete in einem Start-up-Unternehmen am Computer, hat keine Lust bei der versoffenen Betriebsfeier mitzuvögeln, kommt abends nach Hause, macht Essen in der Mikrowelle, skypt mit ihrer Schwester. Eingestreut sind zwei Gegenwelten: der Schießstand, wo Ania sachlich-kühl Kleinkaliber abfeuert als Zeichen verkappter Aggression, und der sterbende Großvater in der Klinik als einzig wärmender Bezugsmensch.
Das ist die Allerwelts-Ausgangslage, die Regisseurin Nicolette Krebitz kommentarlos zeigt. In dieses Gefühl, vom Leben entfremdet zu sein, fährt nun eine Begegnung hinter dem Haus im Niemandsland zwischen Bahndamm, Brache und Wald: ein Wolf. Ania (Lilith Stangenberg) wird sich an dieser Begegnung festbeißen, von ihrem wenigen Geld Fleisch kaufen, Hasen aussetzen, eine heimliche Jagd organisieren, den Wolf in ihrer Wohnung einsperren, sich ihm stellen, blutige Blessuren davontragen, in der zerfetzten Wohung selbst immer mehr verwildern, bis sie aus dem Job kippt und aus einer Gesellschaft, die ihr ohnehin nichts sagt.
So ist „Wild“ ein Spiegel für unsere Sehnsüchte, dabei provokativ, gefährlich sinnlich, ohne seinen harten Realismus ans Fantastische zu verraten. Denn eines bleibt am Ende, sogar poetisch, klar: Der Mensch kann dem Wolf nie ein Wolf werden. Aber der bleibt das wild-natürliche Gegenüber, das in die Wildnis lockt, die unsere Zivilisation verschüttet hat.
B&R: Nicolette Krebitz (D, 97 Min.)
Kino: Monopol
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