"Wicked II" und die Frage nach Frauenfreundschaft und Manipulation in einer Diktatur

Im letzten Jahr starteten zwei aufsehenerregende Musical-Produktionen: Jacques Audiards „Emilia Perez“ mischte das Genre im wilden Independent-Format mit Elementen des Drogenthrillers, der Telenovela sowie einer Transgender-Story kraftvoll auf. Von der anderen, kommerzielleren Seite landete wenige Wochen später „Wicked“ in den Kinos. Basierend auf dem Bühnenmusical entfachte Regisseur Jon M. Chu eine spektakuläre Leinwandversion, die das oftmals verpönte Genre Film-Musical demonstrativ in die Arme schloss.
Das sogenannte "Böse" ist nur Propaganda
Die Story von Romanautor Gregory Maguire ist als Vorgeschichte zu „The Wizard of Oz“ aus dem Jahre 1939 angelegt. Mit seinen farbenfrohen Fantasy-Settings dockte Chu direkt an dem Technicolor-Vorläufer an. „Wicked“ erzählt die Lebensgeschichte der sogenannten „Bösen Hexe des Westens“, die als giftgrüne Schurkin durch die Zauberwelt von Oz marodierte. Aber die begabte grünhäutige Magierin Elphaba (Cynthia Erivo) ist in „Wicked“ nicht als Antagonistin geboren, sondern wird aufgrund ihrer Hautfarbe als Außenseiterin behandelt wird und findet ausgerechnet in ihrer Erzrivalin, dem pinkfarbenen It-Girl Glinda (Ariana Grande) nach Zickenkrieg ihre beste Freundin. Ausführlich wird die Welt von Oz aufgebaut, das von einem zwielichtigen Oberzauberer (Jeff Goldblum) mit zunehmend faschistoiden Methoden regiert wird. Am Ende des ersten Teils donnerte Elphaba zu dem Song „Frei und schwerelos“ mit einem satten Fortissimo auf dem Hexenbesen in den Himmel, um sich fortan dem Zauberer von Oz entgegenzustellen. Glinda hingegen blieb zurück, um sich mit dem Herrscher zu arrangieren.

Jetzt wird Glinda wird als „Gute Hexe des Ostens“ zum rosa Poster-Girl des Regimes. Mit der allseitigen Bewunderung geht für sie ein Kindheitstraum in Erfüllung. Derweil läuft eine PR-Maschinerie auf Hochtouren, die mit Plakaten und Flugblättern vor der „Bösen Hexe des Westens“ warnt. Denn auf diesem Gut-Böse-Schema beruht die Macht des Herrschers von Oz, den Jeff Goldblum als linkisch durchtriebenen Scharlatan spielt. In dem Durchbrechen dieser unheilvollen Polarisierung liegt das weithin sichtbare Hauptanliegen des Musicals.
Balance zwischen Opulenz und Psychologie
Der zweite Teil führt die Krisen-Beziehung von Elphaba und Glindader durch eine äußerst wendungsreiche, dramatische Handlung hindurch, die das epische Erzählformat in seiner ganzen Breite in Anspruch nimmt. Regisseur Chu beweist hier erneut sein Gespür für die Balance zwischen einerseits aufwendig choreographierten Tanz- und Gesangsszenen mit großem Komparsenaufkommen, pointierten Actionszenen im Fantasy-Format sowie andererseits intimen Sequenzen, in denen sich die Emotionen der Figuren in brillant intonierten Songs ihren Weg bahnen.

Dass dabei die Entwicklung der Charaktere nicht verloren geht, ist vor allem das Verdienst der beiden hervorragenden Hauptdarstellerinnen. Ariana Grande spielt mit den oberflächlichen Prinzessinnen-Klischees ihrer Figur, um in deren Widersprüche, Ängste und Sehnsüchte umso tiefer einzutauchen. Cynthia Erivo wiederum erweist sich erneut als kompetente Musical-Göttin mit enormen Gesangskapazitäten, einer ausdrucksstarken Mimik und einer ikonischen Coolness, mit der sie sich auf den Besen schwingt.
K: Astor im Arri, Cinemaxx, Gloria, Royal, Rio (OmU) und Mathäser (auch OV) sowie Museum, Cinema (OV)
R: Jon M. Chu (USA, 138 Minuten)