Kritik

Voodoo Jürgens ist "Rickerl"

Der wunderschöne, tragikomische Film von Adrian Goiginger mit dem Untertitel: "Musik is höchstens a Hobby"
von  Margret Köhler
Vater und Sohn, Rickerl (Voodoo Jürgens) und Dominik (Ben Winkler) starten in ein gemeinsames Wochenende.
Vater und Sohn, Rickerl (Voodoo Jürgens) und Dominik (Ben Winkler) starten in ein gemeinsames Wochenende. © Giganten/ Pandora Film

Sex, Drugs & Rock'n'Roll. Einst der wilde Ritt, der wie selbstverständlich zum Aufstieg in der Musikszene gehörte. Davon ist Erich "Rickerl" Bohacek so weit entfernt wie die Frittenbude vom 4-Sterne-Restaurant. Mit Gitarre aber ohne Smartphone stolpert er mit Dreitagebart und sehr eigenwilliger "Frisur" durch Wien, seit der Trennung von seiner Ex-Freundin Viki ( Agnes Hausmann) ist Sex kein Thema mehr, die hat sich einen "gstopften Piefke" mit schickem Häuschen gesucht und seine einzige Droge sind ein paar G'spritzte. Der Enddreissiger hat gerade keine guten Karten.

Totengräber, Sexshop-Verkäufer und Hochzeitssänger

Sein Gelegenheitsjob als Totengräber ist futsch, weil ein geklauter Totenkopf bei einer Begräbnisfeier aus seinem Rucksack rollt, als Verkäufer im Sexladen macht er auch keine "bella figura" und statt ihm und seiner Band als Hochzeitssänger zu lauschen, verprügeln sich die Gäste. Sein raubeiniger Produzent drängt ihn, endlich Material für ein Album zu liefern und nicht ständig an seinen poetischen Liedtexten herumzudoktern und durch die Gegend zu schleppen: " In deinem Gitarrenkoffer sieht's aus wie in meinem Büro". Und Vorschuss gibt's schon mal gar nicht. Das wäre alles noch erträglich, aber dass er seinem geliebten Söhnchen Dominik (Ben Winkler), mit dem er jedes zweite Wochenende verbringen darf, nicht einmal einen Kinobesuch spendieren kann, das tut weh.

In einer anrührenden Sequenz fragt der Sechsjährige den Papa "Warum liebt die Mama jetzt den Kurti?" Das sei kompliziert meint Rickerl, "wer wen liebt und wer wen ned, do kenn' i mi a ned so aus" (keine Angst, es gibt deutsche Untertitel!). Und ob es pädagogisch richtig ist, den Sechsjährigen mangels Babysitter im Erotikshop "Die liebestollen Dirndl von Tirol" anschauen zu lassen, darüber muss man sich nicht den Kopf zerbrechen.

Die Essenz des Austropops und ein Wiener Loser

Adrian Goiginger, der mit seinem sensationellen Regiedebüt "Die beste aller Welten" weltweit Preise kassierte, plante schon seit Jahren einen Film, der die "Essenz des Austropops einfängt". Mit Voodoo Jürgens, einem der bekanntesten Singer- Songwriter der jungen Generation nach Wolfgang Ambros, Georg Danzer oder Ludwig Hirsch, ist das superb gelungen.

Schon sein erstes Album "Ansa Woar" landete 2016 auf Platz Eins der österreichischen Charts. Die Geschichte eines liebenswerten Losers, der sich selbst im Weg steht, ein guter Vater sein möchte und unter seinem autoritären Vater leidet, ist lustig und traurig, morbid und melancholisch. Eine bissig-sanfte Hommage an das Wien der Vorstädte, an die Gestrandeten, die im verräucherten Beisl zu Hause sind. Während draußen die heutige Welt zerbröselt, üben sich die zumeist älteren Gäste im Wartesaal zum kleinen Glück bei Schnaps und Wein im Widerstand gegen den Zeitgeist, sehnen sich nach der Vergangenheit, "wo alles noch weniger Oasch" war. Kein Wunder, dass Rickerl resigniert resümiert "Auf die Gegenwart is g'schissn". Goigingers Stärke liegt in der Authentizität, dazu zählt in seinen bisherigen drei Filmen die spezifische Mundart und wie beim Rickerl der charmante Wiener Dialekt und der berühmte Wiener Schmäh.

Beide Künstler lieben Nikotin, Alkohol und Wien

Dass die Tragkomödie so wunderbar funktioniert, liegt auch daran, dass sowohl Goiginger als auch Jürgens biografische Elemente und persönliche Erfahrungen einbringen, wie in dem Lied "Drei Gschichtn ausm Café Fesch". Übrigens jobbte Jürgens mal als Totengräber, was er in "Weh au Weh" verarbeitet. Er weiß um die Angst vor Versagen, wie die Angst vor Erfolg, selbst wenn er nicht so reagieren würde wie die Filmfigur, die vor einer für  sie wichtigen Radiosendung vor dem ORF-Zentrum kehrt macht. Beide Künstler kennen Selbstzweifel und Scheitern, sind in schwierigen Familienverhältnissen aufgewachsen, lieben Nikotin, Alkohol und die langsam aus dem Stadtbild verschwindenden Beisln.

Bei all diesem gesammelten Herzblut und Herzschmerz, der Liebe und Leidenschaft, was gibt es Schöneres als mit einem Lächeln und einem Tränchen das Kino zu verlassen?

K: ABC, Arena, City, Gloria, Maxim
R: Adrian Goiginger (D, A, 104 Min.)

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