"Unskinned": Leben ohne Perspektive

Der Film „Unskinned“ erzählt von großen Gefühlen und Ängsten – ganz nüchtern und leise
von  Paul Nöllke
Die Arbeit in der Gerberei ist hart und undankbar.
Die Arbeit in der Gerberei ist hart und undankbar. © DokFest

Beira Alta in Portugal nach der Finanzkrise: In einer heruntergekommenen Gerberei arbeiten Carla und Lúcia. Sie sind die einzigen Frauen, die noch in der Fabrik tätig sind, von den ehemalig 50 Mitarbeitern sind nur zehn geblieben. Die Arbeit ist hart, der Umgang mit den Maschinen und Chemikalien gefährlich, die Mitarbeiter sind eigentlich viel zu wenige. Eine der Angestellten, die gegangen ist, wird immer wieder zum Thema im Film. Sie bleibt ein Phantom. Patricia ist ihr Name, und was genau mit ihr passiert ist, bleibt offen. Ihre früheren Mitarbeiter sprechen oft über sie. Sie scheint den harten Alltag in der Fabrik hinter sich gelassen zu haben und lebt nun wohl mit ihrem Freund in der Schweiz.

Zu spät für einen Neuanfang 

Der Film „Unskinned“ schafft es, unglaublich nüchtern viele große Gefühle einzufangen. Da ist die Perspektivlosigkeit, die die Angestellten der Fabrik empfinden. Das Wissen, Chancen im Leben verpasst zu haben. Als Lucia und ihr Ehemann nach einem Tag voller harter Arbeit zu Abend essen, sprechen sie über ihre Vergangenheit. Lucia wirft ihrem Mann vor, verantwortungslos gelebt zu haben und Chancen nicht genutzt zu haben. „Doch dafür ist es jetzt zu spät.“ Ihr Mann bejaht alles, was sie sagt. „So ist das Leben“, meint er. Es sind Momente wie diese, die in ihrer Nüchternheit und großen Tragik den Film ausmachen.

Die Regisseurin Inês Gil setzt dabei keine Musik ein, was die wichtigen Szenen umso stärker macht. Die Geräusche der Maschinen, die Stimmen der Protagonisten stehen ganz für sich. Gil begleitet auch Carla und ihre Familie. Sie scheinen mit ihrer Situation zufriedener zu sein, als Lucia und ihre Ehemann und sich gut arrangiert zu haben. Als Lucia sagt, sie habe Angst, dass die Fabrik schließen muss, scheint das Carla nicht viel auszumachen: „Dann haben wir mehr Zeit für andere Dinge.“

Große emotionale Tragik

Vieles wird in „Unskinned“ nur angedeutet, vieles bleibt der Interpretation des Zuschauers überlassen. Die Rolle, die die Fabrik einnimmt, bleibt zum Beispiel ambivalent. Einerseits gibt sie den Protagonisten Arbeit, andererseits ist sie auch gefährlich, ein Ort, an dem die Träume und Wünsche der Arbeiter begraben wurden. Nie ist ein Chef oder Eigentümer zu sehen, nur eine orangene Katze streift durch die Räume. Fast wirkt es, als sei die Fabrik ein selbstständiges Wesen. „Unskinned“ bleibt durch seine Nüchternheit und große emotionale Tragik auch nach dem Schauen noch lange im Gedächtnis.

Bis zum 24. Mai zeigt das Dok.fest 121 Filme, die man nur online sehen kann. Das kostet pro Film 4,50 Euro – oder 5,50 Euro, wenn man den Solidaritätsaufschlag für die Partnerkinos City/Atelier, Rio und Maxim zahlt. Der Festivalpass für alle Filme kostet 50 Euro. Die meisten Filme sind die ganze Zeit verfügbar, einige unterliegen Beschränkungen.
Alle Infos unter dokfest-muenchen.de

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