So ist der zweite Teil der "Tribute von Panem"
Ohne Inszenierung keine Aufmerksamkeit, ohne (tragische) Helden keine dramatische Spannung. Dieses Credo hat die faschistische Kapitol-Herrscherkaste in der Fantasy-Welt von „Die Tribute von Panem“ perfekt verinnerlicht. Der Medien-Zynismus erreicht im zweiten Teil der Bestsellerverfilmung von Suzanne Collins seinen Höhepunkt, wenn Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence) im schneeweißen Brautkleid live im TV vom perlweiß grinsenden Selbstbräuner-Moderator Caesar (Stanley Tucci) vorgeführt wird.
Die Masse, die mit Brot und Spielen abgespeißt wird, sind wir selbst!
Die lüsterne Menge johlt, als der Show-Imperator verkündet, dass Katniss in diesem Dress eigentlich vor dem Traualtar hätte stehen sollen, jetzt aber leider von ihrem Liebsten auf dem Schlachtfeld geschieden wird. Schließlich kann ja nur einer die gefürchteten Hungerspiele gewinnen. Aber was macht Katniss, diese selbstlose Kämpferin, die im ersten Teil mit ihrer Selbstmordandrohung alle Spielregeln geändert hat? Sie bedient zuerst die Massen, in dem sie ihr Kleid in Flammen aufgehen lässt, bis sie sich erneut verwandelt: In einen dunklen Spotttölpel, der das Symbol der Freiheit und damit der Aufruf zur Revolution ist. Und bevor der überrumpelte Zopf-Caesar doch noch sein „Veni, vidi, vici“ ins Mikro brüllen kann, springt Katniss’ Verlobter Peeta (Josh Hutcherson) herbei, um frech-verlogen zu behaupten, dass Katniss auch noch ein Baby von ihm erwartet. Wer will Katniss da noch schießen und leiden sehen? Die Antwort gibt der Film brutal in einem Schnitt: das Kapitol. Und dennoch haben die beiden Rebellen dem totalitären Herrschersystem hier endlich einmal die Stirn geboten und „Nein“ gesagt. Ein Gedanke, der sich durch den gesamten Film zieht.
Zu Beginn sehen wir Katniss aber noch als bezwungene Siegerin. Ja, das unterdrückte Volk hat sie mit ihrem Hunger-Games-Erfolg verzaubert, aber sie selbst wird geschüttelt von Albträumen, von den Kindern, die sie auf dem Schlachtfeld umbringen musste, um selbst zu überleben. Erneut gelingt es Hollywoods neuer Wunderfrau Jennifer Lawrence brillant, die Seelenqualen und Sehnsüchte ihrer nicht nur für Jugendliche faszinierenden Identifikationsfigur darzustellen.
Jennifer Lawrence: Aus dem naiven Mädchen ist eine junge Frau auf Selbstfindungstrip geworden
Im Vorläufer war sie noch ein naives Mädchen, das für ihre verarmte Familie alles opfern würde, auch ihr Leben. Jetzt, als junge, aber schon desillusionierte Frau, ist alles komplizierter. Zwei Männer, ein einfacher Jäger (Liam Hemsworth) aus ihrem District und ihr Kampfgefährte Peeta buhlen um sie, das Kapitol möchte sie gerne tot sehen, kann es aus Angst vor einem Aufstand aber nicht und degradiert sie deshalb gewaltsam zur Marionette, die von Stadt zu Stadt tingelt, um pathetische Ruhm-und-Ehre-Reden zu halten und einen verliebten Soap-Star zu spielen. Nur eins darf sie bei allem nicht sein: sie selbst.
Der etwas überlange, düstere Film pendelt dabei furios zwischen sensiblem Selbstfindungsdrama, Satire auf den hohlen Starkult und – in der letzten Stunde – packendem Dschungel-Actionreißer. Die Dramaturgie gleicht dabei Teil eins. Katniss muss wieder in den Ring, denn die Kapitol-Bosse (darunter auch als geheimnisvoller Spielleiter der große Philip Seymour Hofmann) lassen jetzt zum „Jubel-Jubiläum“ keine Kinder, sondern ehemalige Sieger gegeneinander antreten. So finden sich Katniss & Co. ganz wie in der Serie „Lost“ auf einer mysteriösen Insel wieder, in der giftiger Nebel und übellaunige Affen die Teilnehmerzahl schnell dezimiert und neue Allianzen nötig macht.
Für Liebeleien oder schrille Kostümorgien wie in Teil eins ist da kaum mehr Platz, aber der Showdown, in dem sich Katniss als wäre sie Neo aus „The Matrix“ in eine Erlöserfigur verwandelt, macht auch Raum für neue gewagte Ideen, auf deren Weiterentwicklung man leider bis zum 27. November 2014 warten muss. Dann erst startet der vorletzte Teil des Millionen-Blockbusters mit Köpfchen und Herz.
Kino: Cadillac, Gloria, CinemaxX, Münchenr Freiheit, Royal sowie Mathäser (dt. und OV) und Cinema, Museum (OV), R: F. Lawrence (USA, 146 Min.)
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