Interview

Regisseur Stölzl über seine "Schachnovelle": Kein Kinderspielplatz

Philipp Stölzl hat Stefan Zweigs "Schachnovelle" verfilmt. Der Regisseur spricht über seine Herangehensweise, Berlin als Lebensgefühl und Preise.
| Markus Tschiedert
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Noch dreht sich das konservative Wien im Walzertakt: Bartok (Oliver Masucci) tanzt mit seiner Frau Anna (Birgit Minichmayr) - bis die Gestapo anklopft.
Noch dreht sich das konservative Wien im Walzertakt: Bartok (Oliver Masucci) tanzt mit seiner Frau Anna (Birgit Minichmayr) - bis die Gestapo anklopft. © Julia Terjung / Studiocanal

AZ-Interview mit Philipp Stölzl: 1967 in München geboren, machte der Regisseur zunächst eine Ausbildung zum Bühnenarbeiter an den Kammerspielen und begann als Assistent von Jürgen Rose.

Inzwischen lebt Stölzl in Berlin und ist gefragt für Musikvideos, Werbespots, Theaterstücke, Opern oder Filme. Er arbeitete mit Rammstein und Madonna zusammen und drehte Spielfilme wie "Nordwand", "Der Medicus" und "Ich war noch niemals in New York".

Nun hat sich Stölzl der "Schachnovelle" angenommen, die Stefan Zweig 1941 geschrieben hat. Es ist die Geschichte des Wiener Notars Dr. Josef Bartok, der beim "Anschluss" Österreichs noch am 12. März 1938 von der Gestapo gefangen und danach in Isolationshaft psychisch gefoltert wird. Um nicht verrückt zu werden, bringt er sich selbst das Schachspielen bei, nachdem er ein Buch mit berühmten Schachpartien in seine Zelle schmuggeln konnte.

AZ: Herr Stölzl, 1960 wurde Stefan Zweigs "Schachnovelle" erstmals verfilmt - mit Curd Jürgens und Mario Adorf. Wie kam es zur Neuverfilmung?
PHILIPP STÖLZL: Auf dem Spielplatz. Einer der Produzenten, Tobias Walker, hatte seinen Sohn in der gleichen Kita-Gruppe wie ich meine Tochter. Wir haben uns dann über die Kids befreundet und er hat mir erzählt, dass er den Stoff "Schachnovelle" entwickelt.

Philipp Stölzl: "Es war irgendwie auch ein Zeichen des Schicksals"

Passiert es in Berlin öfters, dass Projekte auf dem Spielplatz besiegelt werden?
In Berlin ist alles möglich. Aber natürlich trifft man Produzenten normalerweise, weil sie schon einen Stoff für dich haben. Aber mit Tobias Walker habe ich nur aus gemeinsamen literarischem und filmischen Interesse über die "Schachnovelle" geredet, ohne berufliches Anliegen.

Sie haben sofort zugesagt?
Sofort. Ich war vom Drehbuch von Eldar Gregorian begeistert. Es war irgendwie auch ein Zeichen des Schicksals, weil ich nach meinem letzten sehr heiteren Film "Ich war noch niemals in New York" das Gefühl hatte, dass jetzt für mich ein Drama an der Reihe ist.

Philipp Stölzl bei der Premiere seines Films "Schachnovelle" im Kino International in Berlin.
Philipp Stölzl bei der Premiere seines Films "Schachnovelle" im Kino International in Berlin. © imago images/Future Image

Wie unterscheidet sich Ihre Verfilmung von der mit Curd Jürgens?
Die alte Verfilmung hat dieses leicht Hölzerne, wie man es aus manchen Filmen der 60er Jahre kennt. Jürgens spielt natürlich toll, aber man hat immer das Gefühl, man schaut da aus Distanz drauf, wie einer immer wirrer und wahnsinniger wird. Wir haben versucht, den Weg in die geistige Erosion durch die Isolationsfolter subjektiv zu erzählen, die Zuschauer werden mit hineingezogen.

Philipp Stölzl: "Ich war als Junge eine Leseratte"

Wann sind Sie das erste Mal mit Stefan Zweigs Novelle in Berührung gekommen?
So mit 15 oder 16. Ich war als Junge eine Leseratte und zog mir auch Werke wie "Der Steppenwolf" von Hermann Hesse oder "Der Fänger im Roggen" von J.D. Salinger rein. Heute haben die Kids YouTube und andere digitale Medien, woraus sie ihre Erfahrungen rausziehen. Aber ich komme aus einer Generation, in der man sich in seinen Lehr- und Wanderjahren noch mit Literatur auseinandergesetzt hat.

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Wie gut spielen Sie Schach?
Ich spiele gern, aber ziemlich schlecht, habe aber das Glück, dass mein 14-jähriger Sohn Gustav auch gern und "mittelgut" spielt. Als zwei vergnügte Dilettanten sind wir perfekte Partner. Wieviel Lichtjahre wir dabei vom echten Schachspiel entfernt sind, ist mir erst bewusst geworden durch die vielen Vereinsspieler, die wir für den Film engagiert hatten.

Inwiefern?
Beim Spielen sagt ein Profi irgendwann: "Danke, schachmatt." Und du schaust aufs Brett und hast keinen Schimmer, warum. Die rechnen 20 bis 30 Züge voraus. Vor anderthalb Jahren habe ich mal auf einer Skihütte gegen einen siebenjährigen Hochbegabten gespielt. Der hat mich innerhalb von 30 Minuten matt gesetzt. Da gab es kein Entrinnen, das war tatsächlich auch ein bisschen gruselig.

Philipp Stölzl über seine Hassliebe zu Berlin

Sie wohnen in Kreuzberg, wo es jetzt auch den Rio-Reiser-Platz gibt, mit dem Sie 1994 das Rockmusical "Knockout Deutschland" herausgebracht haben…
Es gibt wohl noch Verzögerungen, den Heinrichplatz umzubenennen, weil irgendwelche Leute dagegen geklagt haben. Ich weiß nicht, was dagegensprechen soll. Aber wir sind ja das Land der Einwendungen, womit sich vieles verzögern lässt. Dafür ist jetzt ein Teil der Kreuzberger Manteuffelstraße nach der schwarzen Lyrikerin Audre Lorde umbenannt worden. Ich mag Veränderung und finde den Wechsel von Straßennamen nach preußischen Junkern zu Kreuzberger Ikonen okay und freue mich auch, bald in der Nähe des Rio-Reiser-Platzes zu wohnen.

Warum fühlt sich ein gebürtiger Münchner wie Sie in Berlin so wohl?
Von Wohlfühlen ist nicht die Rede. Das ist eher eine Hassliebe. Und damit bin ich nicht allein. Wie beim Song "Schwarz zu Blau" von Peter Fox besungen. Neulich hab ich beim Joggen am Paul-Lincke-Ufer sogar eine Bierwerbung entdeckt, die diesen Zwiespalt zum Thema hat. Ich bin Anfang der 90er hergezogen und habe das Glück gehabt, diese wild-anarchische Zeit mitzuerleben, das bindet einen an einen Ort. Meine Kinder gehen hier zur Schule, meine Schwestern und Eltern wohnen hier, alle Freunde, alle kreativen Partner: Das addiert sich völlig unabhängig vom Berlin-Blues zur "Heimat".

Philipp Stölzl nutzte den Lockdown, um daheim die "Schachnovelle" zu schneiden

Sie haben im Sommer zwei Monate in Rom gedreht.
Eine obszön schöne Stadt, an jeder Ecke eine malerisch abgeblätterte Piazza, ein sinnlicher Barockbrunnen. Und ich dachte, wie wird es wohl sein, wenn ich wieder nach Berlin komme? Aber dann steigst du aus der S-Bahn, die Straßen voll mit Fahrrädern, überall interessante, unkonventionelle Menschen in den Cafés, ein Wirrwarr an Sprachen, und man spürt sofort wieder die bunte Energie dieser Stadt und denkt: Ist doch ganz gut hier.

Was haben Sie in Rom gedreht?
Zwei Folgen für die erste Staffel von "Der Schwarm" nach Frank Schätzing. Das ist eine internationale Serie, englischsprachig. Der Showrunner Frank Doelger ist ein erfahrener Serienprofi aus USA und hat unter anderem "Game of Thrones" produziert. Das hat Spaß gemacht, die Arbeit im Team - und auch, dass es da für mich um pures Regiehandwerk ging und nicht darum, die ganze Last des Gelingens zu tragen, wenn man einen Kinofilm als Regisseur verantwortet. Nach drei Jahren mit der "Schachnovelle" was das eine sehr angenehme Abwechslung.

Wie gut sind Sie bisher durch die Pandemie gekommen?
Ganz okay. Obwohl mir an Theater und Oper auch eine Reihe Projekte weggebrochen sind. Aber dafür konnte ich die Lockdowns nutzen, um zu Hause die "Schachnovelle" zu schneiden. Das war eine gute Beschäftigung, aber auch bissl schräg, auf dem Bildschirm die Gestapo-Folter, nebenan die Kinder.

Stölzl: "Mein Antrieb ist es, starke, bewegende Kinogeschichten zu erzählen"

Kam Ihnen da jemals Zweifel, Regisseur geworden zu sein?
Nein, ich liebe das alles sehr. Man gilt ja schnell als Workaholic, aber ich empfinde die vielen Projekte nicht richtig als Arbeit. Das klingt vielleicht ein bisschen idealistisch, aber ich habe immer das Gefühl, genau das machen zu dürfen, was mir am liebsten ist. Und dann kann ich davon auch noch leben. Das ist ein Privileg, für das ich dem Leben dankbar bin. Ehrlich gesagt, war ich auch nie so ein guter Schüler, weshalb ganz früh klar war: Kommt eigentlich nur Kunst in Frage.

Am 1. Oktober findet die Verleihung des Deutschen Filmpreises statt. Ihre "Schachnovelle" ist in sieben Kategorien nominiert. Fühlt sich das für Sie nach "alles richtig gemacht" an?
Ich habe ja bisher immer eher "Publikumsfilme" gemacht. Bei denen spielen die Präsenz auf Festivals oder Filmpreise keine große Rolle. Auch wenn das jetzt bei "Schachnovelle" etwas anders liegt, fehlt mir da etwas der Bezug dazu. Ich freue mich über Preise, aber wenn es keinen gibt, ist es für mich auch kein Weltuntergang. Mein Antrieb ist es, starke, bewegende Kinogeschichten zu erzählen. Wenn die Leute dann kommen, um sich das anzusehen, und wenn sie aus dem Kino etwas mitnehmen für sich, eine emotionale Erfahrung, wenn der Film ihnen auf die eine oder andere Weise etwas bedeutet: Das ist mein Glück als Künstler.


Preview von "Schachnovelle" am heutigen Mittwoch, 19.30 Uhr, im ABC.

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