Preisvergabe beim Filmfestival Cannes: Was Frauen zu sagen haben

Das 71. Filmfestival in Cannes hat nach einem spannenden Wettbewerb seine Preise vergeben – weit gestreut, aber klar: Politik, Elend und Kampf um Würde spiegeln sich in menschlichen Geschichten.
Adrian Prechtel |
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Die neunköpfige Jury des 71. Filmfestivals in Cannes hatte mit Präsidentin Cate Blanchett (li.) und ihren Mitstreiterinnen (von links) Kristen Stewart, Lea Seydoux und Ava Duvernay sowie (nicht im Bild) Kahdja Nin eine weibliche Mehrheit.
Arthur Mola/dpa Die neunköpfige Jury des 71. Filmfestivals in Cannes hatte mit Präsidentin Cate Blanchett (li.) und ihren Mitstreiterinnen (von links) Kristen Stewart, Lea Seydoux und Ava Duvernay sowie (nicht im Bild) Kahdja Nin eine weibliche Mehrheit.

Am Anfang ein Paukenschlag, der klar macht, dass doch einiges anders gewesen ist bei den 71. Filmfestspielen in Cannes: Nicht aus Feierlichkeit, sondern aus trauerndem Protest kam die italienische Schauspielerin Asia Argento im schwarzen Kleid die Stufen zur Bühne hoch, als man sich noch fragte: Was hat diese Frau, die weder im Filmwettbewerb noch in der Jury eine Rolle spielte, für eine Aufgabe bei dieser Goldenen Palmen-Gala?

Aber schon mit ihrem ersten Satz wurde es klar: "1997 wurde ich von Harvey Weinstein hier in Cannes vergewaltigt! Dies war sein Jagdgebiet!" Und: "Auch heute Abend sitzen welche unter uns, die noch zur Verantwortung gezogen werden müssen. Wir lassen euch nicht davonkommen!"

Spezial-Palme in Cannes für Jean-Luc Godard

Ein Hammer-Einstieg für eine der wichtigsten Filmpreis-Galas der Welt, auf der traditionell auch politische Filme ausgezeichnet werden. Cate Blanchett nutzte ihre Macht als Jurypräsidentin auch gleich und erfand eine einmalige Spezial-Palme für den 87-jährigen Film-Revolutionär Jean-Luc Godard, der mit seinem "Bilderbuch" einer der 21 Wettbewerbsfilme war: bekannte und unbekannte Film- und Nachrichtenbilder der letzten 90 Jahre, farblich stark verändert, dazu absichtlich ins Unscharfe gezogen, so dass sie abstrakter wurden. Dazu aus dem Off Godard-Philosophiefetzen über Kunst, Bilder und Revolution.

Die wichtigste Goldene Palme für den Besten Film prämierte dann aber das Gegenteil: "Shoplifters" ist kein "Bilder"-Essay, kein Film-Pamphlet, sondern eine klar, spannend und sehr menschlich erzählte Geschichte: Eine arme Großfamilie, die sich mit Landendiebstählen und Gelegenheitsjobs über Wasser hält.


Der Beste: Der japanische Regisseur Kore-Eda Hirokazu hält die Goldene Palme für seinen Film "Shoplifters". Foto: Chen Yichen/dpa

Immer mehr stellt sich heraus, dass diese familiäre Gemeinschaft gar keine echte verwandtschaftliche ist. Ein missbrauchtes kleines Mädchen wird aufgenommen und der 11-jährige Junge ist auch ein Findelkind. Aber alles wird durch die dominante "Großmutter" zusammengehalten, so dass sich für den Zuschauer die Frage stellt: Was ist Familie, was schafft Zusammengehörigkeitsgefühl?

Darauf gibt "Shoplifters" keine einfache Antwort, wenn sich – bei aller gegenseitigen Zuneigung – immer mehr Zweifelhaftigkeiten dieser "Patchwork"-Gemeinschaft enthüllen. Dass mit dem Film des Japaners Kore-Eda Hirokazu die Goldene Palme an keinen ausgesprochen politischen Film ging, war überraschend, weil viele deutlich gesellschaftskritische Filme gezeigt wurden. Und so war dann auch der Große Preis für "BlacKKKlansman" der Ausgleich, weil hier Spike Lee mit einer satirischen Komödie den Rassismus in den USA geißelt und dabei "Black Power!" und "Black is Beautiful!" ruft – etwas plakativ.

Ein roter Faden bei der Preisverleihung? Braucht es nicht

Einen roten Faden bei den Preisvergaben kann man in diesem Jahr nicht erkennen. Was aber auch nicht schadet. Denn in einem durchweg guten Wettbewerb auch ohne große US-Produktionen zeigte das Kino sich eben von seinen verschiedensten Seiten.

Mit dem Jury-Preis für den libanesischen "Capernaum" wurde dann auch der Film ausgezeichnet, der Kritiker und Weltpremieren-Publikum am meisten emotional berührt hatte: Die Geschichte eines 12-Jährigen, der seine 11-jährige Schwester vor der Zwangsverheiratung schützen und das verlogene Leben in einem Slum von Beirut nicht mehr mitmachen will. Am Ende bekommen aber sogar die "grausamen" Eltern Raum, um für sie ein gewissen Verständnis zu gewinnen, was dem Drama eine wichtige Vielschichtigkeit verleiht und ihm echte Größe gibt. Dass "Capernaum" auch noch von einer Regisseurin, Nadine Labaki, stammt, passte dann zum Versuch, in Cannes weiblichere Saiten aufzuziehen.

In der Party nach der Weltpremiere hatte sogar noch die Münchner Hochschule für Fernsehen und Film etwas zu feiern: Denn HFF-Student Christopher Aoun hat als Kameramann diesem Filme ein packendes, dabei besonders menschliches Gesicht gegeben. Genau das gelang auch Marcello Fonte als Schauspieler in Matteo Garrones "Dogman" als zarter Hundefriseur und -Pfleger, der sich am Ende gegen einen Schläger wert, der das ganze Viertel terrorisiert. Und wie hier wurde auch im russischen "Ayka" das gesellschaftliche Klima in Russland anhand eines harten Einzelschicksals erzählt: das einer als Arbeitsmigrantin untergetauchten Kasachin, die Samal Yesyamova so radikal in Verzweiflung zeigt, dass sie zu Recht den Preis als Beste Schauspielerin gewann.

So endete das erste Cannesfestival ohne speziellen Hollywood-Draht, den hier ausgerechnet Harvey Weinstein besonders erfolgreich verkörperte, sehr international und mit vielen Geschichten von "Entrechteten und Schwachen", wie Cate Blanchett betonte. Und das ist – über die menschlichen Schicksale gespiegelt – dann eben doch politisch. 

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