"Peter von Kant": Ein Mann weint bittere Tränen

Mit "Tropfen auf heiße Steine" nach dem gleichnamigen Theaterstück von Rainer Werner Fassbinder zeigte François Ozon schon vor über 20 Jahren seine Faszination für die deutsche Regie-Ikone. Und jetzt legt er ohne Scheu nach.
Mit Mut und Finesse, Einfühlungsvermögen und Verfremdung nähert er sich in einer sehr freien Adaption dessen Meisterwerk "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" aus dem Jahre 1972, verliert sich nicht in ein simples Remake, sondern liefert eine Hommage an sein Kino-Vorbild und gleichzeitig eine brutale Betrachtung über emotionale Abhängigkeit und die Unmöglichkeit der Liebe auf Augenhöhe.
Der Star aus einfachen Verhältnissen
Da taumelt ein Bär von Mann durch sein Kölner Atelier im kitschigen 70er-Jahre-Stil, säuft und jammert, piesackt seinen schweigenden Sekretär Karl (Stefan Crépon) und versinkt in Selbstmitleid oder fläzt sich wie ein Walross im Halb-Koma auf einem Riesenbett herum. Der erfolgreiche Regisseur Peter von Kant durchlebt gerade eine depressive Phase, die unglückliche Trennung von seinem Partner, der ihn "wie ein Stier eine Kuh" nahm, kann er nicht verwinden.
Da präsentiert ihm seine beste Freundin und Kokain-Diva Sidonie (Isabelle Adjani, die an Ingrid Carven erinnert) den hübschen Araber Amir (Khalil Ben Gharbia) aus einfachen Verhältnissen, der von einer Schauspielkarriere träumt. Hals über Kopf verliebt sich der Alte in das knackige Kerlchen, lässt ihn bei sich wohnen und verspricht ihm eine große Karriere. Neun Monate später: Amir hat es geschafft, das Machtgefüge sich gedreht.
Der neue Star braucht den Lover nicht mehr und lässt ihn fallen, betrügt ihn ständig, trifft sich ungeniert mit seiner aus Australien nachgereisten Ehefrau und demütigt seinen Gönner. Einen in Einsamkeit und Enttäuschung gefangenen Mann, der sich in Suff und Drogen flüchtet, während die Adjani wie einst Jeanne Moreau in "Querelle" haucht: "Each man kills the things he loves".
Ozon ändert Geschlecht der drei Hauptfiguren
Aus der exaltierten Modedesignerin, die mit einem Model und ihrer Sekretärin (Margit Carstensen, Hanna Schygulla, Irm Hermann) ein Verhältnis hat, wird hier der schwule Filmregisseur Peter von Kant, kongenial gespielt von Denis Ménochet, für Ozon ein "fragiler Oger", zäh und zärtlich, wütend und weinerlich. Ein offenkundiges Abbild des wie ein Wahnsinniger drehenden Rainer Werner Fassbinder und seiner heißen Affären mit Günther Kaufmann und dem Araber El Hedi Ben Salam, den er in einer Pariser Schwulensauna kennenlernte und für "Angst essen Seele auf" engagierte.
François Ozon spielt lustvoll mit Zitaten, neben vielen anderen Bezügen schließt sich der Kreis durch die Mitwirkung von Hanna Schygulla, die hier als Peter von Kants Mutter auftritt und ihn auch schon mal mit Kinderliedern zum Schlafen bringt. Ozon ändert das Geschlecht der drei Hauptfiguren und erforscht den von ihm leidenschaftlich verehrten Fassbinder wie durch einen Spiegel, würdigt das Genie trotz aller persönlichen Defizite als Mensch und Filmemacher.
Dazu reduziert er den Text, durchbricht das Artifizielle des Originals und gibt dem Film eine boulevardeske Note, nimmt ihm dadurch ein Stück Strenge und verleiht ihm etwas mehr Optimismus.
Es bleibt der tiefe Fall
Manchmal schrappen die Figuren in diesem melodramatischen und intensiven Kammerspiel mit nur wenigen Außenaufnahmen bewusst an der Karikatur entlang. Mal ist Peter ein seine Macht missbrauchendes Monster, dann schaltet er um auf sensible Seele mit Hang zur Selbstzerstörung, ein von der Angst Getriebener, der Schwächere zu sein. Bei seinen Ausrastern beschimpft er rüde die Freundin, die Mutter, die Tochter (er war mal verheiratet) als Parasiten, sie wenden sich angeekelt ab von dem Egomanen ohne wirkliche Empathie. Er sei "ein großer Regisseur, aber ein erbärmlicher Mensch" schleudert ihm Sidonie entgegen.
Sogar die Leidensfähigkeit seines devoten Sekretärs hat Grenzen, der langjährig Gequälte erwidert Peters verzweifelte Avancen nicht, er spuckt ihn an und geht. Es bleiben Schmerz und Trauer, Macht- und Kontrollverlust, der tiefe Fall. Die Tränen des Peter von Kant sind vielleicht weniger bitter, aber nicht weniger bewegend.
Kinos: Arena, City-Atelier, Neues Maxim (alle deutsch und OmU), Theatiner (OmU), Leopold (deutsch)
R: François Ozon (Frankreich 2022, 85 Minuten)