Paradiesvogel in Fantasiekostümen
CANNES Als Marlene Dietrich sich stilisiert geschminkt am Ende im weißen Pelzschleppenmantel verbeugte, nannte das die amerikanische Intellektuelle Susan Sontag „camp“: dick Aufgetragenes, das ins monströs Kitschige kippt und nur noch als Selbstkarikatur erträglich ist.
Wladiziu Valentino Liberace war „camp“, war der bestbezahlte Showstar bis in die 70er: eine Bigband im Hintergrund, im Vordergrund ein Flügel, neobarock verziert, darauf ein Riesen-Kandelaber, davor am Bühnenrand und vor den Tasten ein Paradiesvogel in Fantasiekostümen zwischen Ludwig XIV. und der späten Dietrich. Steven Soderbergh hat diesem Lee, wie ihn Freunde nannten, seinen Abschiedsfilm aus dem Filmgeschäft gewidmet. Denn Soderbergh gelang es nicht, von Großstudios Geld für das Filmprojekt mit Michael Douglas und Matt Damon zu bekommen. Ein Film über einen schwulen Entertainer, der 1986 an Aids starb, ist nicht gut vermarktbar. Kein großes Studio hatte den Mut, Millionen Dollar Werbung zu investieren in ein vermeintliches „special interest“-Projekt.
Und so hat Cannes zum ersten Mal einen TV-Film in den Wettbewerb aufgenommen. Denn der US-Sender HBO finanzierte „Behind the Candelabra“ – und hat damit ein Schmuckstück ermöglicht, das Sonntag US-TV-Premiere hat, ehe es vielleicht – durch den Ruhm in Cannes – in mehreren Ländern doch ins Kino kommt. England ist bereits gebucht.
Sieht man diesem Biopic nun die TV-Produktion an? Allenfalls durch die Häufung von tv-tauglichen Nahaufnahmen. Ansonsten ist der Film ein wunderbares Melodram, heiter opulent schwelgend im Märchenkönig-Kitsch der vergoldeten Whirlpools und bronzenen Seiden-Wasserbetttücher und weißen Rolls Royces oder Schoßhund-Stillleben. Der Witz besteht darin, Liberaces obszönes Selbstbewusstsein, seine opulente Großzügigkeit als Verlockung (für Matt Damon als späten Lebensgefährten) und goldenen Käfig zu zeigen und die Ironie, dass Millionen von Damen für Liberace schwärmten, weil die bürgerliche Gesellschaft dieses pfauenhafte Las-Vegas-Produkt nicht für schwul halten wollte. Soderbergh hat daraus aber keinen Minderheiten-Problemfilm gemacht, sondern feinfühliges Amüsement. Das hätten die Großstudios durchaus riskieren können. Gespenstisch sind allenfalls die Szenen, als Douglas den schon sterbenden, ausgemergelt aids-gezeichneten Liberace spielt.
Dem virilen Ex-Sexidol Douglas zuzuschauen, wie er unverschämt tuntig junge Männer in seinen Bann schlägt, ist wunderbar elegant. Man glaubt, dass Matt Damon als Junge vom Land fasziniert ist und dann zum echten Freund wird. Denn „Behind the Candelabra“ ist vor allem auch ein Film über Verführung, Liebe und Vertrauen.
Oberflächlichen Müll dagegen hat Paolo Sorrentino („Il Divo“) abgeliefert. Seine „Grande Bellezza“ ist genau das oberflächliche Blabla, was er als Gesellschaftsanalyse einer gelangweilten, pseudointellektuellen, übersättigten Welt vorwirft. Er hat den Vergleich mit Fellinis „Dolce Vita“ und „Roma“ gesucht und ist seicht gestrandet. Und die franco-italienische Schauspiel-Regisseurin Valeria Bruni Tedeschi wollte europäische Adels-Dekadenz im Woody-Allen-Stil zeigen und hat mit „Un chateau en Italie" nur neurotischen Leerlauf produziert. Jetzt ist doch wieder die Stunde Amerikas: Ryan Gossling spielt heute in Nicolas Winding Refns „Only God Forgives“.