Interview

Milli-Vanilli-Film von Simon Verhoeven: Skandal und Komödie

Für seinen neuen Kinofilm "Girl You Know It's True" über die Skandal-Band Milli Vanilli ließ der Münchner Regisseur Simon Verhoeven das P1 nachbauen.
von  Adrian Prechtel
Regisseur Simon Verhoeven (links) mit Tijan Njie, der im Film den Tänzer und Performer Rob Pilatus spielt und dem Darsteller Elan Ben Ali, der Fab Morvan spielt und Produzent Quirin Berg.
Regisseur Simon Verhoeven (links) mit Tijan Njie, der im Film den Tänzer und Performer Rob Pilatus spielt und dem Darsteller Elan Ben Ali, der Fab Morvan spielt und Produzent Quirin Berg. © Leonine Studios / Wiedemann & Berg Film

Der 51-jährige Münchner Schauspieler, Produzent, Drehbuchautor und Regisseur  Simon Verhoeven eroberte mit seinen "Männerherzen"-Filmen (2009, 2011), "Willkommen bei den Hartmanns" (2016) und zuletzt "Nightlife" (2020) ein Millionenpublikum. Nun hat er die Geschichte von Milli Vanilli zu einem Spielfilm gemacht – und will viel mehr erzählen als nur von einem atemberaubenden, tragikomischen Skandal.

Der deutsche Produzent Frank Farian engagiert die unbekannten Tänzer aus der Münchner Promidisco P1 Rob Pilatus und Fab Morvan für sein nächstes Musikprojekt nach Boney M. Unter dem Namen Milli Vanilli stürmen die beiden Freunde die internationalen Charts, landen drei Nummer-1-Hits in den USA und genießen das exzessive Leben in Hollywood. Auf dem Höhepunkt, als Milli Vanilli den Grammy gewinnen und durch Amerika touren, kommt 1990 einer der größten Fake-Geschichten des Pop ans Licht. Den Absturz überlebt nur der Franzose Fab Morvan. Der Münchner Robert Pilatus stirbt 1998 an Alkohol und Drogen. Simon Verhoeven hat kein Drama gemacht, sondern einen Unterhaltungsfilm mit dramatischer Tiefe. Der Film ist seit Donnerstag im Kino.

AZ: Herr Verhoeven, Milli Vanilli: Der Name und Skandal wird vielen Jüngeren nichts mehr sagen und klang schon immer albern.
SIMON VERHOEVEN: Alle Previews haben gezeigt: Wer den Film sieht, kommt mit wirklich guter Stimmung raus. Die Story, die man sich irrer gar nicht vorstellen kann, und die ja wirklich passiert ist, wird vielleicht von vielen unterschätzt – so nach dem Motto: "Ach, die beiden Jungs da, die gut tanzen konnten und die Welt verarscht haben…" Dabei geht es um viel mehr.

Milli-Vanilli-Skandal kommt ins Kino: Ein Unterhaltungskunstwerk wie die Band selbst

Zum Beispiel um die Fragen von der Verführbarkeit durch Ruhm und Erfolg. Es war ja eine Art Teufelspakt: Ich mache Euch groß, und ihr haltet die Klappe.
Klar, und es folgte die Flucht in Partys und Drogen.

Der Hit- und Filmtitel "Girl You Know It's True" ist gerade bei dem Skandal, den Milli Vanilli mit ihrem Fake ausgelöst haben, eine ironische Vorlage.
Es gibt viele Dokus, Interviews aus der Zeit und über diese Zeit. Ich habe nach jahrelangen Recherchen und Gesprächen mit Zeitzeugen natürlich "meine" Wahrheit destilliert, die ich für unterhaltsam halte. Mein Film ist ein Unterhaltungskunstwerk wie Milli Vanilli selbst.

Milli-Vanilli-Produzent Frank Farian, der seit langem in Miami lebt, hat gerade erklärt, dass im Film weniger als 80 Prozent wahr seien. Er sagt aber auch, dass er den Film schon vier Mal gesehen hat, was doch auf eine gewisse Begeisterung schließen lässt.
Ich habe auch viel mit Farian gesprochen und natürlich hat er sich vielleicht manche Szene anders vorgestellt. Aber von Wahrheits-Prozentrechnungen möchte ich mich fernhalten.

Dabei kommt Frank Farian gar nicht schlecht weg: Als leidenschaftlicher Macher und Musikfanatiker, der für seine Ideen bis zum Letzten kämpft – inklusive der Pressekonferenz in New York, wo er der internationalen Presse erklärt, dass auf keiner Aufnahme Fab Morvan und Rob Pilatus einen Ton selbst gesungen haben. Dieser klare Ausstieg hat nach all dem Wahnsinn ja auch Größe.
Absolut. Matthias Schweighöfer spielt ihn ja auch charmant und leidenschaftlich, vielschichtig. Nicht umsonst ist Frank Farian der vielleicht größte deutsche Musikproduzent, der aus kleinen Verhältnissen kam, als Koch angefangen hat, dann aber alles an den Nagel hängt und sich konsequent der Musik widmet, dem, was er am meisten wollte und liebte. Dann ist auch ihm die Kontrolle über Milli Vanilli und Rob und Fab entglitten.

"Girl You Know It's True"-Regisseur Simon Verhoeven: "Ich hatte die volle Verantwortung"

Fab Morvan, der sich erst nach vielen Jahren von dem tiefen Fall erholt hat, war auch erst gegen den Film und trägt ihn jetzt voll mit.
Auch die Schwester von Rob, Carmen Pilatus, die immer zu ihrem Bruder gehalten hat, hatte natürlich einen großen Input. Aber letztlich war es für mich wichtig, dass ich die volle inhaltliche Verantwortung habe, sonst kann kein Kunstwerk entstehen.

Es gibt viele sehr amüsante Szenen: Wie der alberne Name entstanden ist, weil die beiden ja erst Top Deck heißen sollten. Oder wenn Farian in die Sitzung des deutschen Plattenbosses platzt, weil Milli Vanilli gerade beginnen, international durch die Decke zu gehen und er fürchtet, dass gar nicht genug Platten da sind: Schweighöfer hämmert das dem verdatterten Boss ein: "Ihr müsst endlich pressen, pressen, pressen…" Und als der nicht sofort kooperativ reagiert, gibt es Farians Satz: "Die Hühner meines Nachbarn haben mehr Anteil an dem Erfolg als Du!" Die spielen nämlich ganz am Anfang des Films eine Rolle.
Das ist natürlich ein dramaturgischer Gag, den ich als Drehbuchautor erfinde, aber immer irgendwoher nehme, von dem was ich gehört habe oder man mir erzählt hat. Und der folgenden Satz, "Meine Putzfrau hat mehr dazu beigetragen als Du!", der ist halt wirklich gefallen.

Milli Vanilli, 1988: Sänger Fab Morvan (li.) und Rob Pilatus beim Auftritt in der TV-Sendung "Formel Eins" in München.
Milli Vanilli, 1988: Sänger Fab Morvan (li.) und Rob Pilatus beim Auftritt in der TV-Sendung "Formel Eins" in München. © Bernd Müller/Imago

Man fragt sich, warum der Skandal damals so ungeheuerlich groß war. Bei Boney M. wusste man auch, dass nicht alle wirklich singen.
Ja, bei Boney M. haben es die Leute noch nicht ganz kapiert. Bei Milli Vanilli spielen viele Faktoren eine Rolle, dass die Reaktionen so krass waren. Da gab es den zunehmenden Neidfaktor in der Musikindustrie, gerade auch in den USA – auch dass da so ein deutscher Produzent mit zwei deutschen Jungs den Popmarkt aufrollt, bis hin zum Song "Blame It on The Rain", der für Whitney Houston gedacht war, aber von der Plattenfirma plötzlich an Milli Vanilli gegangen ist. Dann hatten sich Rob und Fab im Rausch des Ruhms bereits verloren und benahmen sich immer mehr daneben, waren für die Manager in den USA nicht mehr kontrollierbar – in den Shows, im TV, hinter den Kulissen. Das ist ja auch ein Spannungsfaktor im Film. Und man hofft für die beiden, dass es doch noch irgendwie gut geht, obwohl man ja weiß, dass es zusammenkrachen wird. Und ihr Drogenkonsum war natürlich auch der Versuch, die Lüge zu verdrängen. Das alles führte im großen Musikbusiness zu Häme, Neid und Ablehnung. Die wurden schon vor dem Skandal in der "Late Night Show" oder in der TV-Serie "Living Color" verarscht, standen auf der Abschussliste. Trotzdem wurden sie noch erfolgreicher und durften – obwohl das Tonband beim Liveauftritt hängen geblieben war – danach noch beim Grammy, der grundsätzlich Live-Auftritte vorschreibt – als große Ausnahme Playback singen… und haben gewonnen.

Und weil die Fans die beiden so fanatisch liebten, schlug das nach der kompletten Entzauberung blitzartig dann in Hass um.
Ja, dann brach alles über die beiden herein. Vielleicht würden die Medien damit heute auch sensibler umgehen.

Kinofilm "Girl You Know It's True": Ein Nostalgietrip ins frühere München

Wirklich?
Man kann sich die Pressekonferenz von Rob und Fab noch in einer Doku anschauen, da sieht man wie hart es zugeht. Aber natürlich: Wenn sich heute rausstellt, dass Beyoncé nicht selber singt oder kein Song von Ed Sheeran von ihm stammen würde, wäre dass auch noch ein Riesen-Skandal, obwohl es seit Tiktok oder den vielen anderen Kanälen ganz offen viele Playback-Stars gibt.

Es ist auch ein ganz aktueller Film über die Frage, was würde ich machen, um berühmt zu werden?
Klar, eine kleine Lüge? Ist doch ok, oder? Viele junge Leute heute träumen mehr denn je vom Ruhm. Welchen Pakt würden sie dafür eingehen? Und dahinter steht auch die Frage, ob so ein Star-Dasein überhaupt erstrebenswert ist? Ist nicht ein ganz normales Leben viel schöner? Aber ich denke, wir sind doch heute alle ein bisschen Milli Vanilli, wenn wir uns im Netz präsentieren, Fotos hochladen, ein Image pflegen, und in einer Welt leben, in der Immer mehr künstliche Illusionen herumschwirren.

Man sieht im Film auch die Bundesrepublik und München in den 70ern und 80ern als Rob in München aufwächst als Adoptivsohn.
Das waren liberale und hippie-lockere Zeiten, aber halt gleichzeitig auch noch spießig und eng. Heute wäre ein schwarzes Kind im Viertel um den Harras herum oder auf der Schule halt kein großes Problem mehr. Damals war es für Robert als Kind echt bitter, was seinen tiefen Wunsch nach Anerkennung und Erfolg erklärt.

Man sieht auch das P1, wo die beiden als Tänzer bekannt waren…
Ja, das haben wir nachgebaut. Für mich ist das Ganze auch ein Nostalgietrip ins frühere München gewesen. Ich selbst stand ja als 16- oder 17-Jähriger in der Schlange und wollte rein, wo die beiden dann durchgewunken wurden. Die waren für mich Jugend- und Lokalhelden, schon bevor sie richtig berühmt wurden. Es sind zwei Münchner Jungs die Radlerhosen tragen und Hollywood und große Stadien erobern. Auch das ist ein Aspekt des Films. Und dass man – bei aller Dramatik – eben auch viel lachen kann.

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