Niemals lügen!

Michael Haneke über sein Alters-Drama „Liebe”, über die Arbeit mit den Schauspiellegenden Trintignant und Riva und die Vorteile eines preisgekrönten Regisseurs – auch beim Metzger
Margret Köhler |
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Drei Jahre nach „Das weiße Band” triumphierte Michael Haneke erneut mit „Liebe” in Cannes und gewann die zweite „Goldene Palme”. Das Kammerspiel über zwei Menschen, die sich noch in hohem Alter lieben und das Sterben rigoros leben, fasziniert durch Zärtlichkeit und Kompromisslosigkeit – und seine Darsteller.


AZ: Herr Haneke, Sie greifen ein Menschheitsthema auf: Liebe, körperlicher Verfall, Sterben, Tod.
MICHAEL HANEKE: Das beschäftigt mich schon lange. In meiner Familie ereignete sich ein ähnlicher Fall. Diese persönlich schmerzvolle Erfahrung gab den Anstoß. Fühlt man sich von einem Erlebnis verstört, versucht man, sich als Regisseur dazu etwas einfallen zu lassen. Man muss aber aufpassen: Klischees, Kitsch oder Rührseligkeit machen diesem Thema schnell den Garaus. Wir haben uns bemüht, diese Fallen zu vermeiden.
Jeder spürt Angst vor so einer Situation. Ist Ihr Film auch eine Art Angstbewältigung?
Das wäre überinterpretiert. Ich bin nicht mein eigener Analytiker. In dem Sinn ist jeder Film Angstbewältigung, wie auch ein Schriftsteller über etwas schreibt, um sich über bestimmte Zusammenhänge klar zu werden.
Was brachte Sie zum Titel „Liebe”?
Bei einer alltäglichen Liebesgeschichte hätte ich den Film nicht so genannt. Nur der tragische Kontext erlaubt einen solchen Titel, den übrigens Jean-Louis Trintignant bei einem Essen aus dem Hut gezaubert hat.
Die Besetzung ist ein genialer Schachzug.
Ich habe die Rolle für Jean-Louis Trintignant geschrieben, der seit 14 Jahren nicht mehr auf der Leinwand zu sehen war. „Das weiße Band” begeisterte ihn. Da fiel es nicht mehr schwer, ihn zu überzeugen. Emmanuelle Riva war nach „Hiroshima Mon Amour” mein Jugendschwarm. Wir lagen alle vor ihr auf den Knien. Ich habe zwar ein ganz normales Casting durchgeführt, aber sie galt von Anfang an als Favoritin, und nach den ersten Proben war klar: sie macht es. Ich führe keine großen Gespräche, halte nichts von Diskussionen und langen Erklärungen. Man geht zusammen essen und plaudert. Dann weiß ich, es funktioniert.
Hatten die beiden keine Bedenken, sich seelisch so zu entblößen? Emmanuelle Riva zeigt sogar ihren körperlichen Verfall ganz offen.
Solche Profi-Schauspieler wissen, das sind heikle, aber auch sehr dankbare Rollen. Natürlich hat sich Emmanuelle Riva nicht auf die Nacktszenen Freude, aber die waren notwendig. Ließe man die komplett weg, wäre die Geschichte wieder eine Lüge. Ich habe versucht, die Situationen so diskret und würdevoll wie möglich zu zeigen.
Eine besondere Rolle spielt auch die Wohnung.
Sie ähnelt der meiner Eltern in Wien. Ich habe sie nach Paris übertragen und mit französischen Möbeln nachbauen lassen. Das Schreiben fällt mir leichter, wenn ich mich an Fixpunkten orientieren, daraus Fantasie entwickeln kann.
Sie lachen gern und wirken entspannt. Würde Sie mal eine Komödie reizen?
Ich habe eine einzige Komödie am Anfang meiner Karriere realisiert. Die war ein Flop. Als Regisseur fehlt mir die spezifische Begabung dafür. Aber ich schaue mir gerne Komödien wie die von Woody Allen an.
Wann wissen Sie, ob ein Film gelungen ist?
Schon während des Drehs. Ich gehe jeden Tag nach Haus mit einem gewissen Gefühl des größeren oder des kleineren Scheiterns. Und wenn ich zu oft mit dem großen Scheitern heimkehre, weiß ich, das wird nichts. Deshalb bin ich am Anfang auch viel nervöser, weil ich nie sicher bin, was noch alles schief laufen kann. Dabei plane ich die Einstellungen genau, ein abgedrehter Film ist quasi fertig. Nach Zweidrittel des Films ohne Katastrophen fühle ich mich entspannter.
Was bedeutet eine „Goldene Palme”?
Mehr Popularität und bessere Arbeitsbedingungen für den nächsten Film. Und wenn ich beim Fleischhauer aufgrund der Bekanntheit mal ein besseres Stück krieg’, ist das auch nicht schlecht.
Margret Köhler

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