Neue fremde Heimat

Dokumentation "Neuland" auf dem Dokfilmfest von den SOS-Kinderdörfern ausgezeichnet
Susanne Stephan |
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Ehsanulla Habibi ist erst 19, hat aber mehr erlebt als die meisten Jungen seines Alters: Aus seiner Heimat Afghanistan ohne Pass geflüchtet, zu Fuß, mit dem Schlauchboot, per Auto, per Bus – bis er nach einem Jahr in die Schweiz kam. Nazlije Alijis Reise nach Basel dagegen war vergleichsweise unkompliziert und kurz: Die junge albanische Frau kam aus Serbien. Beide sitzen jetzt zusammen in einer Schulklasse für neu eingewanderte Jugendliche. Werden sie einen Neuanfang schaffen?

MÜNCHEN Zwei Jahre lang begleitete die Dokumentarfilmerin Anna Thommen die Teilnehmer des Integrations-Lehrganges. Unter Anleitung ihres Lehrers Christian Zingg lernen sie Überlebenstechniken für die neue Heimat – von der Sprache bis zum korrekten Lebenslauf. „Die meisten Schüler in dieser Klasse sind traumatisiert“, berichtet Anja Thommen. Ehsanullah etwa ist vom Heimweg geplagt, er verletzt sich selbst, scheint ständig abzuwägen, was er sagen soll, was nicht. Und er tut sich hart mit der deutschen Sprache. Als er endlich die ersten Sätze spricht, kommt ein Schreiben der Ausländerbehörde: „Der Gesuchsteller hat die Schweiz zu verlassen“, liest Ehsanullah stockend. Monate der Unsicherheit folgen, bis Ehsanullah doch noch eine vorläufige Aufenthaltsgenehmigung erhält.

Die zweite große Hürde für die Jugendlichen ist das Geld. Ehsanullah zahlte 20.000 Dollar für seine illegale Reise nach Basel. Einen Teil des Geldes hat er sich geliehen und muss es jetzt zurückzahlen. Das Angebot einer  Ausbildung zum Gärtner mit schmalem Lehrlingssalär, schlägt er deshalb aus - als Hilfskraft im Restaurant verdient er einfach mehr. „Wenn Sie das Geld nicht zurückzahlen, nimmt man den Eltern in Afghanistan ihr Land weg, und dann haben die nichts zum Leben. Das ist Scheiße“, resummiert der sonst so korrekte Lehrer Zingg konsterniert. Der Pädagoge ist streng, aber er setzt sich für seine Schüler ein, und er spürt, wenn sie von ihrer Situation überfordert sind. „Die Jugendlichen vertrauen ihm bedingungslos“, sagt Anna Thommen. Zingg leidet sichtlich mit, wenn seine Schützlinge keinen Fuß fassen, bei der Suche nach einer Ausbildung eine Absage nach der anderen kassieren. Und er freut sich, wenn es eine schafft, wie Nazlije, die am Ende der zweijährigen Ausbildung fast fehlerfrei Deutsch mit Schweizer Einschlag spricht und sich zur Altenpflegerin ausbilden lässt.

Anja Thommen, in ihrem ersten Beruf selbst Lehrerin, lernte Christian Zingg bei einem medienpädagogischen Projekt kennen. Sie verbrachte für ihre Dokumentation "Neuland" etliche Wochen mit Zingg und seinen Schülern, hatte am Ende 200 Stunden Filmmaterial aufgezeichnet. „Neuland“  wurde jetzt auf dem Münchner Dokfilmfest mit einem Preis der SOS Kinderdörfer ausgezeichnet, der von der Münchner B.O.A. Videofilmkunst gestiftet wurde. 

Seine Organisation wolle sich verstärkt an der gesellschaftlichen Diskussion über Chancengleichheit für Kinder und Jugendliche beteiligen, sagt Gerald Mauler von den SOS Kinderdörfern. Es reiche nicht, Kindern ein Dach über den Kopf zu bieten - wichtig sei auch, das Augenmerk auf das kultuelle Umfeld zu richten, in dem sie aufwachsen. Festivalleiter Daniel Sponsel lobt die Entscheidung der unabhängigen Jury für "Neuland": "Ein bemerkenswerter und berührender Film."

 

 

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