"Neo Rauch – Gefährten und Begleiter": Melancholische Sphinx

Vor diesen Bildern kann man nur kapitulieren. Aus allen Ecken dräut es, das Personal scheint wie aus einer längst vergangenen Welt. Keiner blickt dem anderen in die Augen, jeder geht in sich gekehrt, fast somnambul seiner Bestimmung nach. Weiß der feiste Kerl im Gründerzeit-Rock, was er tut? Und was sind das für rosarote Klumpen, die einem anderen im gelben Taucheranzug an den Füßen kleben? Es könnte aufregend sein, würde Neo Rauch, dieser jüngste Altmeister der Malerei, seine Bilder auch nur ansatzweise erklären. Aber das verweigert er grundsätzlich und natürlich genauso in Nicola Graefs Dokumentarfilm "Neo Rauch – Gefährten und Begleiter".
Zwischendurch gibt es immerhin zwei, drei überraschende Hinweise. Etwa wenn der 56-Jährige vor einem Gemälde mit den Eltern bemerkt, dass sein früh verstorbener Vater ihn, den mittlerweile sehr viel älteren Sohn, da mit Handschuhen trägt. Überhaupt das Ur-Trauma: In jeder Beschäftigung mit dem Künstler ist die Rede vom Tod der jungen Eltern bei einem Zugunglück. Neo war damals erst vier Wochen alt, und Nicola Graef traut sich, ihn darauf anzusprechen.
Ein beträchtlicher Reiz
Er antwortet erstaunlich offen, und er lässt sich Zeit. Jede Minute gewährt ihm dieser Film. Auch den Gefährten und Begleitern, die Graef quer über die Kontinente besucht hat. Das führt vereinzelt zu gewissen Längen – wenn Galeristen Bilder arrangieren und Sammler sich in Allgemeinplätze verlieren. Ansonsten hat es einen beträchtlichen Reiz, diesem Melancholiker beim Grübeln und Gründeln zuzusehen, um dann punktgenaue Formulierungen zu vernehmen. Dass es immer schwieriger werde, ungegangene Wege zu beschreiten. Er habe schließlich schon einige Schneisen geschlagen durch seine inneren Waldungen.
Man spürt den Druck, der auf so einem lastet, die stillen Krisen, in die er immer wieder gleitet, und sogar das Staunen über den eigenen Erfolg. Nein, der Preis eines Gemäldes – und wir sind hier schnell im oberen sechsstelligen Bereich – habe mit dem tatsächlichen Wert nichts zu tun. Rosa Loy, Rauchs malende Ehefrau, hüllt sich in ein kandiertes Lächeln und denkt vielleicht darüber nach, ob Neo diesen Satz besser nicht gesagt hätte. Andererseits bekundet ja auch Überflieger Gerhard Richter sein blankes Entsetzen über die astronomischen Summen, die für seine Werke bezahlt werden.
Das eigene Sich-Infragestellen schadet jedenfalls nicht. Vielmehr wird Rauch einem dadurch sympathischer. Man darf ihm folgen: ins Atelier in der Leipziger Spinnerei und in die großen Galerien der Welt, zu seinen Druckern und ja, zu den erwähnten Sammlern, die das Geheimnisvolle so lieben und sich Stunden in diese Malerei versenken und ständig etwas Neues entdecken.
Neo Rauch bleibt eine Sphinx, die sich selbst nicht so recht ergründen kann. "Wer bin ich denn, wenn ich nicht male?", fragt er ganz zum Schluss. Und schweigt.
R: Nicola Graef (D 2016, 101 Minuten)
Kinos: Monopol, Studio Isabella, City