My Zoe: Krieg um die Liebe eines Kindes

Ist es nicht verrückt? In kurzen Erinnerungsmomenten leuchtet eine heitere Vergangenheit auf: Isabelle und James waren ein modernes, urbanes Liebespaar zwischen London und Paris. Ihrer Karriere als Biologin wegen lebt man jetzt in Berlin - und bekriegt sich!
"My Zoe" ist eine aktuelle Variante von "Kramer gegen Kramer", nur dass nicht Dustin Hoffman und Meryl Streep am Kind zerren, sondern July Delpy und Richard Armitage. Dabei stellt sich durch ein paar originelle Accessoires heraus, dass wir in der nahen Zukunft sind, etwa wenn Isabelle ihren Flexi-Laptop einmal wütend zerknüllt, und der sich wieder glättend entfaltet. "My Zoe" wirft also nebenbei auch einen Blick nach vorne, wo wir durch Mobilität und Flexibilität weiter an Lebenssicherheit, Familienbindungen und örtlicher Zugehörigkeit verlieren.
July Delpy in der Hauptrolle
Julie Delpys Film, für den sie auch das Buch schrieb sowie die Hauptrolle übernahm, ist nicht – wie sonst meist bei ihr – eine leicht neurotische Beziehungstragikomödie. "My Zoe" ist ein Nervenkrieg samt Misstrauen, Missgunst und vor allem wechselseitiger Eifersucht auf die Liebe der Tochter.
Es wird gefeilscht und gestritten um Übergabetermine, Unpünktlichkeiten im Minuten-Bereich und problematische Aktivitäten des jeweils anderen mit der Siebenjährigen. Beide Eltern sind angestrengt aggressiv, er eher passiv, sie nadelstichartig. Und es sind die Präzision der Dialoge, Gesten und Situationen sowie die gezeigte Verweigerung jeglicher Kompromisse, die intelligent und hart die inneren Verwerfungen und Überforderungen offenlegen.
Das allein hätte schon ein packendes Beziehungsdrama ergeben. Aber Delpy dreht die Geschichte dramatisch weiter. Und wir werden als Zuschauer aufregend irritiert und überfordert. Ohne zu viel zu verraten: Es geht um moralisch-medizinische Fragen, etwa ob ein Kinderwunsch immer erfüllt werden sollte, nur weil er medizinisch machbar ist.
"My Zoe": Daniel Brühl als Wissenschaftler
Schon der Titel "My Zoe", der die Tochter ins Zentrum rückt, fragt, ob wir Kinder nicht überlasten, wenn sie die Defizite unserer Entwurzelung ausgleichen müssen und sie die entscheidenden emotionalen Objekte werden. Isabelle formuliert das in einem interessanten Satz vor einem Reproduktionsmediziner (Daniel Brühl als ruhmgeiler, geschäftstüchtiger, charmanter Wissenschaftler): "Es gibt den Begriff Waisenkind. Aber es gibt kein Wort für ein Elternteil, das ein Kind verloren hat!?" Sie fordert so ein Wort ein, weil es das radikalste Unglücksgefühl sei.
Geldgeber aus mehreren Ländern
So geht es auch um die Frage, ob ein Mensch ersetzbar ist und was die Möglichkeit von Klonen emotional bedeutet, ob man damit den Tod überlisten kann.
Auf diese Fragen gibt Delpy eine provozierende Antwort – zumindest als Isabelle im Film. Und es ist dieser ungewöhnliche, ethische Krimi des zweiten Filmteils, der noch stärker in unseren Köpfen nachwirkt als das meisterhafte Beziehungsdrama des ersten Teils.
Da wundert es nicht, dass Delpy Schwierigkeiten hatte, das Geld für ihr Projekt zusammenzubekommen. Gott sei Dank haben sich dafür in Deutschland, Frankreich und Großbritannien Geldgeber gefunden. Denn es ist großes europäisches Kino entstanden. Nicht durch ein großes Melodram, sondern durch eine packende, intime, komplexe und weise Geschichte ohne schnelle, klare Antworten.
Der Film (D/F/GB, 102 Min.) läuft in englischer Originalversion in den Museum-Lichtspielen.
Wir verlosen 5 x 2 Karten dafür! Schreiben Sie bis Freitag, 12 Uhr, an kultur@az-muenchen.de, Stichwort: My Zoe. (Ihre personenbezogenen Daten werden nur für die Abwicklung dieses Gewinnspiels verwendet und nicht an Dritte weitergegeben)