Münchner Filmemacher Stefan Sarazin über "Nicht ganz koscher": Utopie in der Wüste

München - Manchmal braucht man Durchhaltewillen und ein Stück Verbissenheit, um eine Sache durchzuziehen. Beides hatte Stefan Sarazin, der mit Peter Keller das gemeinsame Herzensprojekt "Nicht ganz koscher - Eine göttliche Komödie" über viele Jahre hinweg auf die Beine stellte und trotz der Rückschläge nicht aufgab.
Die fast märchenhafte Geschichte eines muslimischen Beduinen und eines ultraorthodoxen Juden aus Amerika, die sich bei einem unfreiwilligen Roadtrip durch die Wüste Sinai kennen- und nach einigen Problemen schätzen und akzeptieren lernen, macht Hoffnung. Fazit: Vorurteile sind überwindbar, Verständnis ist möglich.
Filmemacher Stefan Sarazin: " Es gibt weniger Judenhass als Israelhass"
AZ: Herr Sarazin, woher stammt diese verrückte Idee zu einem Roadtrip in der Wüste?
Stefan Sarazin: Mein Film "Nitschewo" war nach einer Woche aus dem Kino, da hingen zehn Jahres meines Lebens dran. Das hat mich so umgeschmissen, dass ich in die Wüste Sinai gegangen bin, um meine Wunden zu lecken. Da hauste ich in einem schäbigen Zimmer für drei Euro die Nacht und guckte aus einem Fenster in Richtung Wadi Rum, wo wir später die Wüstenszenen gedreht haben. Oft unterhielt ich mich mit dem Beduinen Adel, der in einem Tauchshop für Touristen Sauerstoffflaschen reparierte. Er ist Vorbild für die Filmfigur Adel. Im Gegensatz zu vielen Arabern äußerte er eine sehr differenzierte Meinung über Israelis und Juden, und das während der zweiten Intifada. So kam ich auf die Geschichte eines muslimischen Beduinen und eines orthodoxen Juden, die sich trotz aller Unterschiede vertragen. Eine nachdenklich machende Komödie über eine Begegnung, bei der Klischees und Stereotypen aufgeweicht werden.
Wie haben sich denn die Schauspieler Luzer Twersky und Haitam Omari bei den Dreharbeiten verstanden?
Sehr gut. Wir hatten eine tolle Casterin Judy Henderson, die auch "Homeland" gecastet hatte. Letztendlich haben wir die beiden über private Kontakte gefunden, Luzer in New York und Haitam, ein muslimischer Palästinenser aus Ostjerusalem. Die gläubigen Araber haben auch weniger mit den Juden ein Problem als mit dem Staat Israel als politisches Gebilde. Es gibt weniger Judenhass als Israelhass. Die Darsteller wussten um die Situation, die der Film erzählt. Das sorgte für Authentizität.
Sarazin: "Viele fanden das Projekt gut, aber mitzumachen traute sich dann doch keiner"
Die "Lola" für das Beste Drehbuch haben Sie und Peter Keller schon 2011 erhalten. Der Film scheint ja eine Lebensaufgabe gewesen zu sein, wenn man den Zeitraum von der Entstehung bis zur Fertigstellung betrachtet.
Es war ein Marathon. Wir hatten eine sehr konkrete Vorstellung, besser gesagt, eine Mission, wie der Film auszusehen hatte und wie er gedreht werden sollte, also nicht so kommerziell, eher leise und nicht so laut.

Eine ganze Reihe Produzenten zeigten Interesse, aber wir sind nicht so warm mit ihnen geworden. Die Schwierigkeiten bei der Finanzierung waren schon enorm. Ein Scheich liebte die Geschichte und wäre gerne finanziell eingestiegen, aber er kam aus der Herrscherfamilie in Katar und sagte mir, wenn ich meinen Namen dafür hergebe, kriege ich Riesenärger. Viele fanden das Projekt gut, aber mitzumachen traute sich dann doch keiner.
Und Sie machten trotzdem weiter...
Wir wollten uns nicht verkaufen. Ich konnte das Thema nicht einfach hinschmeißen, sondern habe mich richtig darin verbissen. Aufgeben kam nicht in Frage. Für das Drehbuch recherchierten wir ab 2007 im Nahen Osten, in Jerusalem und in New York. 2009 haben wir uns in die Wüste Sinai zurückgezogen und das Drehbuch geschrieben. Den Sternenhimmel werde ich nicht vergessen.
Sarazin über seinen Schauspieler Twersky: "Ohne ihn wären wir komplett baden gegangen"
Ich kann mir vorstellen, dass Sie in der Gemeinde in Brooklyn nicht mit offenen Armen empfangen wurden.
Sie werden es nicht glauben, aber wir haben uns verkleidet, mit den entsprechenden Anzügen und Hüten ausgestattet und dann erste Kontakte in teilweise konspirativen Treffen gemacht. Die Leute waren unheimlich nett, auch in Jerusalem. Sobald wir erzählten, warum wir den Film machten, stießen wir auf viel Herzlichkeit.
Der jüdische Hauptdarsteller Twersky stammt aus Brooklyn. Inwieweit haben Sie von seinen Tipps profitiert?
Ohne ihn wären wir komplett baden gegangen. Er musste seine chassidische Gemeinde verlassen, weil er Schauspieler werden wollte. Wir haben sehr viel recherchiert, aber die Kleinigkeiten, diese ganzen alltäglichen Rituale, die lernt man in 20 Jahren nicht. Der war so etwas wie unsere Gouvernante, kannte alle Regeln.
Im Film und im Team: "Wir haben Menschen verschiedener Religionen zusammengebracht"
Hat sich Omari darüber lustig gemacht? Beispielsweise über das ständige Händewaschen, oder die Schuhe nur mit links zu binden?
Beide waren sehr respektvoll miteinander. Sie sind moderne Menschen, sprechen englisch und haben sich gegenseitig akzeptiert.
Sie haben in Palästina, Jordanien und Jerusalem mit einem gemischten Team gedreht. Gab es da mal Ärger zwischen den verschiedenen Gruppen?
Das war kein Problem. Wir hatten einen Serviceproduzenten aus Jordanien und das Team war überwiegend palästinensisch. In Jerusalem kam bei einigen Palästinensern schon so etwas wie Angst auf.
Aber es gibt im kulturellen Bereich viele palästinensisch-israelische Gruppen, die gut zusammen arbeiten.
Das funktioniert auch gut. Die ganz normalen Leute haben kein Problem, die verstehen sich im Prinzip und kommen auf individueller Ebene miteinander aus. Die Politik macht es den Menschen schwer. Was im Film passiert, findet sich auch im Team wieder. Wir haben Menschen verschiedener Religionen zusammengebracht.
Stefan Sarazin über den Fritz-Gerlich-Preis: "Der Preis war eine große Bestätigung""
Sehen Sie nach Ihren Erfahrungen in der Region eine Möglichkeit zum Frieden?
Jein. Die momentane Situation ist verfahren. Damals mit Arafat und Barak war man nahe dran. Die haben sich in Camp David gegenseitig den Vortritt gelassen. Da gibt es noch ein berühmtes Bild. Eine Seite müsste heute ihre harte Linie aufgeben, statt auf ihrem Standpunkt zu verharren. Dann wäre Frieden vielleicht möglich. Die Idee des Films war es auch, mal zu sagen, das ist Gottes Land. Das gehört niemandem oder jedem. Bis zur Versöhnung zwischen Religionen und Kulturen ist es noch ein langer und steiniger Weg.
Ihr Film ist eine Art Märchen. Wie reagierten die Hauptdarsteller darauf?
Natürlich war allen klar, das ist eine Utopie. Aber wir haben diese Form extra gewählt. Wir kommen nicht aus dem Nahen Osten und können die Situation nicht realistisch abbilden, das machen Israelis oder Palästinenser 1.000 Mal besser.
Als Kardinal Marx Ihnen und Ihrem Regiekollegen Peter Keller den Fritz-Gerlich-Preis überreicht hat, war das eine Art Belohnung für Ihr Durchhaltevermögen?
Wir waren sehr überrascht, weil das ein ganz besonderer Preis ist. Ein Preis, der einen Film auszeichnet, der in couragierter Weise ein publizistisch relevantes Thema aufgreift. Fritz Gerlich war ein Widerstandskämpfer der ersten Stunde und für die Werte, für die er steht, stehen wir auch. Der Preis war eine große Bestätigung.