"Milla Meets Moses": Unwiederbringlich Sommer
Erziehungspapst Jesper Juul hat behauptet, man könne Kinder nur bis so 14 Jahre erziehen, danach könne man nur noch einfluss- und fassungslos zuschauen, ob es geklappt hat.
Milla ist 15 und hat gerade ihren ersten Freund in das Vorstadt-Einfamilienhaus angeschleppt: Das ist Moses - acht Jahre älter, drogensüchtig, obdachlos, Tätowierung am Hals. Er hatte sie um Geld angeschnorrt, ihr nach ihrem Fahrradsturz mit seinem Schmuddel-T-Shirt die blutende Nase gehalten und dabei gut erkannt, dass es sich um ein Bürgerstöchterchen handelt, wo vielleicht Überlebensgeld zu bekommen wäre.
"Milla Meets Moses" - hinter der Fassade schmilzt der Unterschied
Da ist - trotz Alarmstufe Rot - Toleranz gefragt, die beide Eltern in ihrer überzeugenden Liberalität durchaus haben. Und hinter der Fassade ist dann der Unterschied zwischen Gutbürgerlichkeit und dem Absturzleben auch gar nicht mehr so groß, wie es anfangs scheint. Denn auch die Mutter (Essie Davis) wirft in höherem Maße Pillen ein, die praktischerweise ihr Ehemann als Psychiater selbst verschreiben kann. Und - und das ist die Fallhöhe dieser wunderbaren tragischen Komödie: diese neurotische, alllseits überforderte Familie steht unter einer extremen Belastung: Milla hat Krebs.
Glaubwürdiger Realismus
Regisseurin Shannon Murphy hat mit "Milla meets Moses" einen grandiosen Film hingelegt. Denn wir durchschauen den kriminellen Rumtreiber, verstehen, dass Millas Vater (Ben Mendelsohn) versucht, ihn mit Geld abzuspeisen, fühlen die mit falschem Interesse - "und was machen Sie so?" - überspielte Beklemmung der Eltern am Esstisch. Aber dann verstehen sie, dass dieser junge Mann (Toby Wallace) der totgeweihten Tochter gut tut und versuchen ihn - so gut es eben nach einem Diebstahl und Messerdrohung geht - ins Familienleben zu integrieren, inklusive "ärztlicher" Versorgung mit Pillen. Eliza Scanlen spielt Millas neue Lebenslust so frisch und überwältigend, dass man versteht, dass sich der eigentlich überlebenstechnisch pragmatische Moses immer mehr einbinden lässt.
Die Stärke von "Milla meets Moses" besteht im glaubwürdigen Realismus und in psychologischer Glaubwürdigkeit, was gleichzeitig unterfüttert ist von großer Humanität und einem lässigen, trockenen Humor. Regisseurin Murphy findet für all das wunderbare Bilder im gleißenden, farbexplodierenden australischen Sommer, der Millas letzter sein wird und daher eingetaucht ist in ein Wechselbad aus Melancholie und junger Euphorie.
Mit dem lauernden nahen Tod kann das nicht auf ein Happy End zusteuern? Oder doch? Ja, aber auf ein wahrhaftes, völlig unkitschiges, radikales.
Kino: Leopold sowie City, Monopol (OmU), R: Shannon Murphy (AUS, 118 Min.)
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