"Men": Die absurde Frage nach der Schuld

Ein Paar beim leidenschaftlichen Sex. Ein Kleinkind, das langsam aus seinem Gitterbettchen klettert. Alles in Schwarz-Weiß, in Superzeitlupe, zu Händels Arie "Lascia ch'io pianga". Bis das Undenkbare, das eigentliche Unzeigbare passiert, das Kind aus dem Fenster stürzt, während die Eltern lustvoll ihren Höhepunkt erleben.
Der Prolog von "Antichrist", er war eine Provokation. Und wieder muss man an ihn denken, beim Einstieg von "Men", als ein Mensch dem Tod entgegen springt, ästhetisiert, in Zeitlupe. Diesmal ist es kein Kind, das tragisch stirbt, sondern der Mann (Paapa Essiedu) von Harper (Jessie Buckley), der sich hier vermeintlich das Leben nimmt.
"Men": Harpers Rückzug in die Abgeschiedenheit
In kurzen Rückblenden erklärt Regisseur Alex Garland, warum es dazu kam, ohne jedoch tief abtauchen zu wollen in die psychologischen Hintergründe. Ähnlich wie Lars von Trier in "Antichrist" interessiert sich der in Cineastenkreisen kultisch verehrte Autor ("The Beach", "28 Days Later") und Regisseur ("Ex Machina") für die Konsequenzen aus dem Schock, zeigt er mit Harper eine Frau, die sich zurückzieht in die Natur, in die Abgeschiedenheit, um mit dem Erlebten fertigzuwerden. Anders als beim dänischen Meisterregisseur gibt es bei Garland erstmal kein männliches Gegenüber, muss Harper alleine mit ihrer Trauer und auch mit ihren schwer greifbaren Schuldfragen fertigwerden.
Garland verweigert sich bei seinem mit christlichen wie heidnischen Symbolen überfrachteten Folk-Horror einer klaren Erzählweise und erkennbaren Lösungsansätzen. Sein Film soll ein Angebot zur Diskussion darstellen, auch wenn es bei der Frage nach dem Bösewicht keine zwei Meinungen gibt.
Mit peinlichen Witzchen garniert der aufdringliche Hausherr Geoffrey (Rory Kinnear) seine Führung durch das herrschaftliche britische Landhaus, in dem sich eine traumatisierte Harper für einige Wochen abschotten will. Merkwürdiger Höhepunkt ist sein Tadel, als die blasse, abgekämpfte Frau sich beim Apfelbaum im Garten bedienen will.
"Men": Rory Kinnears umwerfende Verwandlungskunst
Ein Sündenfall? Wohl kaum. Doch bald wird Harper weitere Männer kennenlernen, die ihr die Zeit für die Selbstreflektion, die innere Einkehr, für immer nehmen. Und egal, ob es sich dabei um eine nackte Adams-Figur, einen übergriffigen Vikar, einen bösartigen Jungen oder einen arroganten Polizisten handelt – sie alle tragen das Gesicht des Schauspielers Rory Kinnear, der auch dank einer perfekten Maskenarbeit eine umwerfende Verwandlungskunst an den Tag legt.
Bis zum großen Finale - purer Body Horror der Marke David Cronenberg - weidet sich der visuell aufregende, bewusst rätselhafte Film an den Fratzen seiner hässlichen männlichen Archetypen. Das mag in einzelnen Momenten, wie bei einer Echo-Tunnel-Sequenz, durchaus spannend sein, in sich stimmig wirkt der angestrengte Kunstfilm aber nie. Und bei allen Bemühungen, männliche Grenzüberschreitungen möglichst differenziert auszustellen, vergisst Garland ausgerechnet seine weibliche Opfer-Hauptfigur vielschichtig zu zeichnen.
Regie: Alex Garland (Großbritannien, 100 Minuten); Kino: Cinema (OV), City Monopol