"Mängelexemplar": Depression in Bunt und Glitzer
Jeder fünfte Bundesbürger erkrankt einmal im Leben an einer Depression, schreibt die Stiftung "Deutsche Depressionshilfe" auf ihrer Homepage. Depression ist demnach eine Volkskrankheit. Einer von möglichen Gründen, warum Sarah Kuttners 2009 erschienener Roman "Mängelexemplar" zu einem Bestseller wurde? Jetzt hat sich Langfilm-Debütantin Laura Lackmann herangetraut, das Buch zu verfilmen. Keine leichte Herausforderung: Mit der Buchadaption "Mängelexemplar" hat sie versucht, die schwer zu verstehende Krankheit witzig und mit Humor verständlich zu machen.
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Karo (Claudia Eisinger) lebt den Hipster-Traum. Sie arbeitet in einer hippen Berliner Eventagentur, ihr Freund Philipp (Christoph Letkowski) ist DJ und ihre beste Freundin Anna (Laura Tonke) hat eine Bar. Doch Karo hat ein Problem: Sie ist zu emotional. Deswegen verliert sie erst ihren Job, dann ihren DJ-Freund und bekommt oben drauf noch eine handfeste Depression. Weil sie sich in Selbstmitleid badet und ihr eigenes Leid zum liebsten Gesprächsthema wird, hat auch irgendwann Anna von ihrer besten Freundin genug. Allein mit ihrer Angst und mit dem Anspruch, die perfekte Patientin zu sein, stürzt sich Karo in eine Therapie.
Ästhetik steht im Vordergrund
Die Welt, die Regisseurin Lackmann für ihren Film inszeniert, ist bunt und damit genauso wie man sich das typische Hipster-Berlin in seiner Fantasie ausmalen würde. Beispielsweise wirkt Karos Kleidungstil trotz Panikattacken zwar irgendwie abgefuckt - und doch gestylt und durchdacht. Alles in allem legt Lackmann bei ihrem Langfilm-Regiedebüt sehr viel Wert auf Ästhetik. Es sei der Film geworden, den sie beim Lesen von Kuttners Roman vor Augen gehabt habe, so die 36-jährige Berlinerin. Doch ein bisschen mehr Konzentration auf die Ausarbeitung der Protagonisten hätte dem Film gut getan.
Denn was bei all dem schönen Schein etwas verloren geht, ist der Tiefgang. Warum Karo überhaupt an einer Depression leidet und was wirklich dahinter steckt, erfährt man während Gesprächen mit ihrer Therapeutin Anette (Maren Kroymann) nur oberflächlich. Grund für das ganze Leid ist offenbar ein Kindheitstrauma - wie sollte es auch anders sein.
Durch das gewollte oder auch ungewollte Spiel mit Klischees erschafft der Film auf gewisse Art auch eine Satire auf die Probleme der heutigen Mitt- bis Endzwanziger. Eigentlich hat man alles, was es zu einem guten Leben braucht. Doch die Unzufriedenheit ist trotz allem groß, der Topf an Möglichkeiten, die man verpassen könnte, scheint riesig. Mit der Darstellung von Karos egozentrischem Weltbild hält uns Lackmann geschickt den Spiegel vor.
Katja Riemann als Mutter
Kurz reißt der Film auch an, dass Depressionen veranlagt sein können: Karos Mutter, gespielt von Katja Riemann, hat ebenfalls mit psychischen Problemen zu kämpfen. Und noch einen weiteren Aspekt erklärt die insgesamt 112 Minuten lange Tragikomödie auf unterhaltsame und kluge Weise: Wer im Leben vorwärts kommen möchte, muss vor allem lernen, den eigenen Charakter aushalten zu können. Erst dann klappt es auch mit allem anderen - nach dem Motto "Liebe dich selbst und alles wird gut".
Hauptfigur Karo bekommt der Zuschauer während des ganzen Films trotz Fokus auf ihre Figur nur schwer zu fassen. Auch das innere Kind, das ihr Lackmann als symbolhaftes Zeichen auf die Schultern packt, wirkt wie Spielerei. Laura Tonke als hipster-hassende Kneipen-Besitzerin Anna nimmt man die Verzweiflung bei weitem leichter ab - bei ihr ist mit dem Schmerz und der Trauer über den Tod ihres Vaters ein Grund für ihre Verzweiflung greifbar. Doch vielleicht will uns Lackmann mit ihrem Film genau diese Botschaft mitteilen: Dass es für eine "richtige" Depression manchmal einfach keinen Grund gibt.
Fazit
Mit dem Anspruch, das Thema Depression in Sarah-Kuttner-Manier humorvoll in einem Film zu erklären, hat sich Laura Lackmann viel vorgenommen. "Mängelexemplar" ist ein - man möchte fast sagen typisch deutscher - Gute-Laune-Film, der zwar was Szenenbilder und Ästhetik anbelangt perfekt ausgestaltet ist, dem es aber ein wenig an Tiefgang fehlt. Ein Kino-Besuch lohnt sich für alle, die auch die Buchvorlage gierig verschlungen haben.