Liv Ullmanns Film "Fräulein Julie" nach August Strindberg
Es ist ein Film, der einen hinreißt, gar fasziniert. Aber zugleich fuchsteufelswild machen kann. Liv Ulmann, die heute 76-jährige Primadonna der Filme von Ingmar Bergman, hat August Strindbergs Drama inszeniert: mit einem unglaublichen Perfektionismus und einer Liebe zu Ausstattungsdetails, die es seit Stanley Kubrick nicht gegeben hat.
Das Produktionsteam dürfte sich jahrelang in die Rekonstruktion der Küche eines Adelshauses um 1900 vertieft haben. Auch noch das letzte Ploppen einer Weinflasche und das Knistern von Geldscheinen wirkt historisch stimmig. Und während man sich noch fragt, wie um 1900 der Abwasch erledigt wurde, wird es ganz nebenbei gezeigt. Und das ohne jeden Zeigefinger.
Der Rahmen ist perfekt, das Sittengemälde auch: „Fräulein Julie“ gilt als Inbegriff eines Geschlechterkampfs. Jean (Colin Farrell) giert nach sozialem Aufstieg und pflegt aus Sicherheitsgründen die Beziehung zur Köchin (Samantha Morton). Die adelige Tochter (Jessica Chastain) versucht in diesem Skandalstück von 1888 den Diener zu verführen und zugleich zu demütigen.
Ein Kammerspiel als Film
Bei Strindberg ereignet sich dieses pausenlose Kammerspiel während der Mittsommernacht in der Küche eines Adelshauses. Liv Ulmanns Verfilmung zeigt noch ein paar Nebenzimmer, aber bleibt sonst hart am Text. Dass der Film auf Englisch gedreht wurde und die Geschichte von Schweden nach Irland verlegt wurde, verschärft den erotisch grundierten Klassenkampf nur noch.
Die drei Darsteller spielen grandios. Sie tun das mit einer unglaublichen psychologischen Gewalttätigkeit, als sei Bergman wieder auferstanden. Man sieht den Figuren vielleicht an, wenn sie lügen – und das tun sie oft. Aber ob sie jemals ein wahres Wort sagen, ist auch nicht herauszufinden. Alles bleibt, wie in Strindbergs Text, in der Schwebe.
Ullmanns Inszenierung lässt eine kleine Ewigkeit offen, wie weit das Machtspiel zwischen Jean und dem Fräulein geht. Waren sie im Bett oder haben sie sich nur geküsst? Zu sehen sind nur geraffte Kleider, kein Fleisch. Doch dann wischt sich Jean mit einem Taschentuch am Unterleib ab. Es ist nur eine Andeutung, die Ullmann macht, die in ihrer Eindeutigkeit aber umso abstoßender wirkt als das kino- und theaterübliche Rammeln.
Der Film wäre das perfekte Beispiel dafür, wie aufregend die zeitlos texttreue Aufführung eines Schauspiels sein könnte. Leider leistet sich Liv Ullmann zuletzt einen Missgriff, der den Film völlig verdirbt. Sie glättet den provozierend offenen Schluss des Strindberg-Dramas und erklärt das Fräulein zum Opfer. Man kann jedem Besucher nur raten, das Kino umgehend zu verlassen, wenn Julie am Ende aus dem Herrenhaus ins Freie läuft, um wie Ophelia zu enden. Denn was folgt, ist grauenhafter feministischer Kitsch.
Kino: ABC, Monopol, Isabella; R: Liv Ullmann (Nor, 129 Min.)
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