Leonora Carrington: Zwischen Genie und Wahn
Die Malerei und ihre Künstlerinnen, ein schwieriges Kapitel voller Kampf gegen Vorurteile und um Anerkennung.
Angezogen von den intellektuellen Debatten und der Entwicklung von einer literarischen zu einer gestalterischen Bewegung schlossen sich vor gut 100 Jahren auch junge Frauen begeistert den rebellischen Surrealisten an. Dort konnten sie an Aktivitäten teilhaben, wurden aber oft mehr als Muse oder „Femme Enfant“ denn als gleichwertig angesehen. In den 1930er Jahren setzten Künstlerinnen wie Meret Oppenheim oder Dora Maar neue Akzenten und entwickelten eine eigenständige weibliche Kunst.
Eine wilde Liebe mit Max Ernst
Eine, die aus dem Rollenklischee ausbrach und raus wollte aus dem Schatten der Männer und deren Fantasien, war die britisch-mexikanische Künstlerin Leonora Carrington (großartig Olivia Vinall). Als 21-Jährige nahm sie bereits 1938 an der legendären Ausstellung Exposition Internationale du Surréalisme in Paris teil.

Thor Klein und Lena Vurma zeichnen basierend auf Elena Poniatowskas Roman „Frau des Windes“ in langen Einstellungen das Schicksal dieser modernen und eigenwilligen Frau - eingeteilt in sieben die Kapitel.
In Paris lernt die Tochter aus großbürgerlichem britischen Haus im Kreis um André Breton den 26 Jahre ältere verheirateten Maler Max Ernst (Alexander Scheer) kennen und wirft sich in eine stürmische „amour fou“. Sie will keine Ehe, sondern gegen gesellschaftliche Normen nur mit ihm zusammenleben, seine „Liebhaberin“ sein. Gleichzeitig liebt sie nichts auf der Welt mehr als das Malen.
Eine Flucht nach Mexiko
In Südfrankreich genießt das Paar 1939 trotz Ausbruch des Zweiten Weltkriegs die Leichtigkeit des Seins, arbeitet zusammen. Als die Nazis Frankreich angreifen, holt sie die Realität ein. Max Ernst wird als „feindlicher Deutscher“ von der französischen Polizei verhaftet, Leonora flieht nach Spanien, in Madrid irrt sie verwirrt durch die Straßen und landet auf Betreiben ihres Vaters in einer Nervenklinik, durchlebt schreckliche Monate mit Elektroschocks und Zwangsernährung.
Anfang der 1950er Jahre sehen wir Leonora in Mexiko, mit einem ungarischen Fotografen verheiratet und Mutter eines Söhnchens, die als Künstlerin wieder Fuß fasst, auch wenn die Traumata sie weiter verfolgen. Das Biopic verzichtet auf eine lineare Struktur, flechtet durch Rückblenden und Traumsequenzen Situationen aus ihrem Leben ein, die Kindheit in England mit dem dominanten Vater, ihr Hang zu Symbolik und Mythologie, Fantasiewesen und zu Tieren, mit denen sie glaubt sprechen zu können und ihre Entdeckung einer verschollenen weiblichen Spiritualität. Eine Frau zerrissen zwischen künstlerischer Kraft und psychischer Schwäche, zwischen Genie und Wahnsinn.
Nur vier Künstlerinnen waren noch teurer
Die Verbindung verschiedener Zeitebenen ist ein Kniff, der allerdings Aufmerksamkeit verlangt. Der Film feiert die Malerin, Bildhauerin und Schriftstellerin, die trotz aller Widerstände ihre eigene Stimme fand und die Salvador Dalí einst „eine der wichtigsten Künstlerinnen des Surrealismus“ nannte.

Die Bedeutung ihres inspirierenden und Konventionen in Frage stellenden Werkes erkannte die Kunstwelt erst so richtig nach ihrem Tod 2011. Inzwischen erreichen ihre Gemälde bei Auktionen Rekordpreise. Bei Sotheby’s in New York erzielte ihr surrealistisches Gemälde „Die Zerstreuungen Dagoberts“ (1945) im vergangenen Jahr 28,5 Millionen Dollar.
R: Thor Klein und Lena Vurma (D/Mex/UK/Ro, 103 Min.); Kinos: ABC, City Atelier (OmU)
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