Interview

Leonie Benesch über die Magie des Alltags im Kino

Die Schauspielerin bekommt den Hannelore-Elsner-Preis des Fünf Seen Filmfestivals und kommt dafür nach Starnberg zu einer Retrospektive ihrer Filme.
von  Dominik Petzold
Leonie Benesch in „Das Lehrerzimmer“ (2023).
Leonie Benesch in „Das Lehrerzimmer“ (2023). © picture alliance/dpa/Alamode

Nach den Schauspielerinnen Barbara Auer, Nina Hoss, Birgit Minichmayr, Sandra Hüller, Paula Beer und Corinna Harfouch erhält nun Leonie Benesch den Hannelore-Elsner-Preis des Fünf Seen Filmfestivals. Sie nimmt den mit 5.000 Euro dotierten und Preis am 12. September in der Schlossberghalle Starnberg entgegen. Dazu wird der Film „Heldin“ zu sehen sein. Außerdem widmet das Festival Leonie Benesch eine kleine Hommage und zeigt die Filme „Das weiße Band“, „September 5“ und „Das Lehrerzimmer“.

AZ: Frau Benesch, Sie hatten großen Erfolg mit „Das Lehrerzimmer“ und „Heldin“, zwei Filme über Frauen in ihrem Berufsalltag. Ist das Zufall?
LEONIE BENESCH: Ja, ich hatte nicht das Ziel, Frauen bei der Arbeit zu spielen. Aber dass diese Geschichten ein Publikum fanden, ist möglicherweise kein Zufall. Die Filmbranche unterschätzt oft, wie cineastisch Alltäglichkeit sein kann.

In Petra Volpes „Heldin“ folgt man einer Pflegefachkraft in ihrer Nachtschicht. Es passiert nichts Ungewöhnliches und dennoch zieht der Film den Zuschauer in seinen Bann. Was ist der geniale Kniff?
Petra hat darauf vertraut, dass die Situationen interessant und spannend genug sind. Und sie hat es geschafft, alle Patienten und Patientinnen in den wenigen Minuten, in denen wir Zeit mit ihnen verbringen, als Menschen zu zeichnen, die wir kennen, die wir verstehen. Der Film zieht einen so rein wegen der Genauigkeit des Drehbuchs. Die Kamera von Judith Kaufmann, das Szenenbild von Beatrice Schultz, der Schnitt von Hansjörg Weißbrich: Alles ist darauf ausgelegt, den Zuschauenden das Gefühl zu vermitteln, sie hätten die achtstündige Schicht mitgearbeitet. Wenn die Regisseurin so genau weiß, was sie will, und sich alle Heads-of-Department darauf einlassen und am selben Strang ziehen, kann diese Art von Magie entstehen.

Leonie Benesch im Film „Heldin“
Leonie Benesch im Film „Heldin“ © Salvatore Vinci

Eine Pflegefachkraft sagte mir, dass sie von „Heldin“ vollends begeistert war. Ist das mehr wert als Kritikerlob?
Ja, denn für die Pflegenden haben wir den Film gemacht. Das Feedback der Filmkritiker war auch toll. Aber nur, weil man tolle Kritiken bekommt, heißt das nicht, dass viele Menschen ins Kino gehen, diese Zeiten sind vorbei. „Heldin“ war so erfolgreich, weil Pflegende sich gesehen gefühlt haben. Sehr viele sind ins Kino gegangen. Wir haben das während des Drehs immer besprochen: Wenn eine pflegende Person den Film gut und wahrhaftig findet, dann haben wir unser Soll erfüllt.

Leonie Benesch mit der Regisseurin Petra Volpe, die ebenfalls nach Starnberg kommt.
Leonie Benesch mit der Regisseurin Petra Volpe, die ebenfalls nach Starnberg kommt. © IMAGO/ZUMA Press Wire

"Petra Volpe hat mit dem Film wirklich einen Nerv getroffen"

Haben Sie viel Feedback wie von der angesprochenen Krankenschwester bekommen?
Ja, mehr als bei jedem anderen Film, das war besonders. Petra Volpe hat viel darüber gesprochen: Pflegende werden in Film und Fernsehen oft unter „ferner liefen“ abgestempelt. Es sind immer die Ärzte, die im Vordergrund stehen und heldenhaft sind - während die Pflegenden meistens Kaffee trinken, im Hintergrund eine Infusion aufhängen oder als Psychopathen dargestellt werden. Es wird total unterschätzt und nie erzählt, was das für ein verantwortungsvoller Beruf ist. Petra Volpe hat mit dem Film wirklich einen Nerv getroffen. Er ist zugleich Kapitalismuskritik und ein feministisches Stück. Wir sehen Pflegende nicht oft in der Hauptrolle. Und dabei sind sie das. Meistens ist die erste und die letzte Person, die uns im Leben anfasst, eine Pflegefachkraft.

Regisseur Wim Wenders und Schauspielerin Leonie Benesch beim Empfang von German Films im Restaurant Eveleigh in West Hollywood.
Regisseur Wim Wenders und Schauspielerin Leonie Benesch beim Empfang von German Films im Restaurant Eveleigh in West Hollywood. © picture alliance/dpa

Ähnlich erfolgreich war „Das Lehrerzimmer“, der Film ist sogar für den Oscar nominiert worden. Haben Sie seither bei Ihren Projekten die Qual der Wahl?
Nein. Seit „Das Lehrerzimmer“ werde ich zwar für Arthouse-Projekte mit einer anderen Selbstverständlichkeit vorgeschlagen oder mitgedacht, das hat sich krass verändert. Aber es geht der Branche nicht gut, vor allem der Arthouse-Branche. Es ist nicht so, dass ich nicht weiß, welches der großartigen fünf Filmprojekte, die vor mir liegen, ich als Nächstes machen soll. Ich bin mir aber bewusst, dass mir im Gegensatz zu vielen Kolleginnen und Kollegen tolle Projekte vorgeschlagen werden. Andere Leute sind extrem am Rudern und fragen sich: Wie soll ich meine Miete bezahlen? Das geht mir gerade nicht so.

Leonie Benesch mit Marcus Rutherford als Carter in einer Szene des Films „September 5 - The Day Terror Went Live“.
Leonie Benesch mit Marcus Rutherford als Carter in einer Szene des Films „September 5 - The Day Terror Went Live“. © picture alliance/dpa/Constantin Film Verleih GmbH

„September 5“ handelt von einer US-Fernsehredaktion, die vor Ort über das Münchner Olympia-Attentat 1972 berichtet. Der Film erzählt einerseits vom Beginn des Infotainments. Andererseits sieht man klugen Redakteuren zu, die als Gatekeeper wirken, die mit sich ringen und richtige Entscheidungen treffen wollen. In Zeiten von Social Media kann einen das auch wehmütig stimmen, oder?
Der Mangel an Expertise, der unsere heutige Medienlandschaft prägt, ist unfassbar frustrierend - gerade in Kombination mit Social Media, dieser Explosion von Dreck, die wir gerade alle zu spüren bekommen. Andererseits war das damals totales Gatekeeping, eine extrem reduzierte Art der Medienberichterstattung. Es gab einen westlich geprägten Sender, der die Geschichte erzählt, und viele Millionen Menschen schauten zu. Die Redakteure prägten mit Blick auf den Nahostkonflikt das Vokabular und das Narrativ. Das war auch krass und absurd. Berichterstattung sollte nicht einseitig sein. Der Film wirft die Frage auf: Gibt es eine neutrale Berichterstattung? Die Frage ist heute relevanter denn je.

"Mir gefällt der Adrenalinkick"

Sie waren sehr jung, als Sie in Michael Hanekes „Das weiße Band“ spielten. Wie blicken Sie rückwirkend darauf?
Lange habe ich gedacht: Fluch und Segen. Damals hat mich die große Aufmerksamkeit überfordert. Aber mittlerweile denke ich, es war eher ein Segen. Was für ein Geschenk, gleich am Anfang seiner Karriere einen Film zu machen, über den noch 17 Jahre später gesprochen wird. Und es war ein Geschenk, weil ich gleich am Anfang einmal sehen durfte, wie es an einem Set laufen kann, wie viel Zeit man sich nehmen kann, mit wie viel Detailliebe gedreht werden kann. Susanne Lothar meinte immer wieder: Wenn wir Glück haben, dürfen wir diese Art Projekt ein-, zweimal in unserem Leben machen. Ich habe das zwar gehört, aber nicht wirklich verstanden. Bis ich dann irgendwann an einem Set von „Soko“ stand.

Leonie Benesch mit Christian Friedel in Michael Hanekes Film „Das weisse Band - Eine deutsche Kindergeschichte“.
Leonie Benesch mit Christian Friedel in Michael Hanekes Film „Das weisse Band - Eine deutsche Kindergeschichte“. © IMAGO/Capital Pictures

Sie waren in London auf der Schauspielschule. Welche Rolle spielt es, wenn man die Ausbildung in einer anderen Sprache macht als der Muttersprache?
In der ersten Wochen war ich total überfordert. Man ist so müde, wenn man den ganzen Tag von einer Sprache umgeben ist, die man zwar versteht, aber nicht richtig gut. Unsere Lehrer und Lehrerinnen haben uns immer ins Theater geschickt, und da saß ich dann wie befohlen und habe nicht alles verstanden, weil die Briten ja viel Wert auf Dialekte legen. Aber nicht alles zu verstehen kann auch ein Vorteil sein, weil man anders auf die Bühne blickt, den Leuten anders zuhört und Wahrhaftigkeit oder Unwahrhaftigkeit anders entdeckt. Wenn ich jetzt irgendwo bin, im Hotel den Fernseher anmache und die Sprache nicht verstehe, entdecke ich Unwahrhaftigkeiten oder etwas, was nicht gut gespielt ist. Nicht obwohl, sondern gerade weil ich die Sprache nicht verstehe. Und wenn wir damals Shakespeare gemacht haben, musste ich jedes Wort nachschauen und mich anders mit der Sprache auseinandersetzen. Das war ein Kampf. Aber sich intensiv mit der Sprache auseinandersetzen, hat sich für mich am Ende ausgezahlt.

Noch vor dem Schauspiel kam für Sie der Kinderzirkus. Gibt es da einen Zusammenhang?
Ich habe das von neun bis elf gemacht. Es war meine erste Erfahrung damit, vor einem Publikum einen Trick aufzuführen. Man geht diese uralte Abmachung zwischen Performer und Publikum ein. Und ich habe gemerkt: Das liegt mir total, das ist aufregend. Mir gefällt der Adrenalinkick und mir gefällt die Herausforderung, die darin liegt, die Erwartungen des Publikums zu erfüllen. Die akrobatischen Seiltanz-, Einrad-, Jonglage-Nummern haben sich damals immer an einer Geschichte entlang gehangelt. Ich war viel zu klein, hätte niemals eine Sprechrolle bekommen. Aber es war mein Traum, Teil des Narrativs zu werden. Ich konnte als kleines Zirkuskind den Text aller Personen in- und auswendig. Das fand ich immer leicht. Ich konnte als Kind auch die gesamte „Zauberflöte“ auswendig. Ich war besessen davon, performativ Geschichten zu erzählen.

Leonie Benesch in einer Szene des Films „Das Lehrerzimmer“.
Leonie Benesch in einer Szene des Films „Das Lehrerzimmer“. © picture alliance/dpa/Alamode

Hätte es da für Sie überhaupt eine berufliche Alternative zum Schauspiel gegeben?
Nein, nicht wirklich. Aber von allen Berufen, die ich mir anschauen durfte, wäre die Pflege wahrscheinlich das, was mir noch am ehesten liegen würde. Aber das sage ich als gepamperte Schauspielerin. Die Arbeitszeiten der Pflegenden - das könnte ich nicht. Und Lehrerin könnte ich niemals sein.

Das Filmfestival zeigt vier Filme in Anwesenheit von Leonie Benesch: „Heldin“ am 12.9. in Starnberg, „Das weiße Band“ am 13.9. in Gauting, „September 5“ ebenfalls am 13.9. in Seefeld und „Das Lehrerzimmer“ am 14.9. in Starnberg. Infos und Tickets unter fsff.de

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