Leonardo DiCaprio ist der "Wolf of Wall Street" in Martin Scorseses Film
Irgendwann war er vorbei, der 70er-Klischee-Dreiklang von „Sex, Drugs & Rock’n’Roll“, der alternative Freiheit bedeuten sollte. Die Yuppie-Jahre der 80er machten eine ganz andere Rechnung auf: Geld wird die Summe aus allem. Es bezahlt das Aufputsch-Kokain und den schnellen Fick mit Barbiepuppen-Nutten. Der Job ist das Leben, das Vermögen definiert das Ich. An diesem materialistischen Vollrausch setzt Martin Scorseses „The Wolf of Wall Street“ an.
DiCaprio spielt Jordan Belford charmant, hungrig, skrupellos
Es ist die maßlose Geschichte von Jordan Belfort, einem Investment-Berater und Börsen-Makler, der klein anfängt, aber ein fantastischer Selfmarketing-Typ ist, charmant, hungrig und frei von Skrupeln. Er verkauft mit seinen Kumpeln Illusionen. Aber es ist ein Selbstläufer, so lange immer mehr gierig auf das Spekulationskarussell aufspringen, so die Kurse weiter steigen und Substanzlosigkeit verdecken, die oft nur in lächerlichen Garagenfirmen ohne Zukunftsideen besteht. Belfort wird so reich, dass er glaubt, alles und jeden mit seinem Geld zuscheißen zu können: FBI, Gesetz und Moral. Ein Film, in dem Partys mit Cover-tauglichen Frauen in pool-reichen-Villen gefeiert, aufgemotzte Autos wie Briefmarken gesammelt und ständig neue Promi-Orte angejettet werden, hat ein Problem: die Faszination des Geldes, unseren Neid-Voyeurismus, obwohl es sich um kriminelle Blender handelt, denen man hinter ihrer Fassade aus Bubi-Gesichtern und perfekt sitzendem Broker-Nadelstreifenanzug die Skrupellosigkeit nicht ansieht. Und Leonardo DiCaprio spricht uns als Belfort auch direkt an, lädt uns ein, Komplize zu werden.
Wie vermeidet Scorsese, dass wir Komplizen von Verbrechern werden?
Scorsese aber löst die Gefahr der Identifikation oft hart, immer elegant und manchmal subtil: So jammert auf der Tonspur der bluesige Jazz-Song „Mercy, Mercy, Mercy“ während einer Kokain-Bruchlandung mit Privat-Helikopter im eigenen Garten um Gnade, blickt die Kamera auffallend kalt auf Stripperinnen-Ärsche und begleitet angewidert das selbst-suggestive Potenzgehabe und die Menschenverachtung bei den Bürofeiern. Treffenderweise kam 1987, im Jahr des ersten Börsen-Crashs der Nachkriegszeit, dem Schwarzen Montag, Oliver Stones faszinierender Kapitalismus-Kritik-Klassiker „Wall Street – Geld schläft nicht“ mit Michael Douglas als Gordon Gekko heraus.
"The Wolf of Wall Street" ist ganz anders als Oliver Stones "Wall Street" von 1987
Scorseses Film spielt ebenfalls mit diesem Datum, weil der reale Jordan Belfort just nach diesem Einbruch am 19. Oktober sein neues Spekulationsspiel beginnt, weil man sich auf eines verlassen kann: Gier. Scorsese zeigt ebenfalls Innenansichten des obszönen Zockens, aber seine Jungs sind banaler, geschmackloser, infantiler, vulgärer – und damit vielleicht wahrer. Der Film ist ein erschreckender Kindergeburtstag nur dem Alter nach erwachsener Männer, und wenn auf einem Betriebsausflug im Jet mit 50 Call-Girls es noch kiloweise Kokain schneit, hat der Film auch noch fantastisch kreischend satirische Züge.
Ein ekelhafter Drogentrip und Kokainschnee im Flugzeug
Und wenn Leonardo DiCaprio sein gewinnendes Haifischgrinsen aufsetzt, dann narzistisch mit gorillahafter Rockstar-Allüre das Broker-Büro rockt oder auf einem ekelhaft-elendigen Drogentrip zombiehaft grimassierend, gelähmt-zuckend und stammelnd am Boden robbt, dann ist das eine oscarreife-Breitwand-Performance in einem erschreckend geilen Film.
Kino: Cadillac, Leopold, Mathäser, CinemaxX, Neues Gabriel, Rio, Royal, Astor Lounge sowie City (OmU), Gloria Premium (dt. und OF) Cinema und Museumlichtspiele in OF
Regie: M. Scorsese (USA, 165 Min.)