Leni Riefenstahl: Das letzte Projekt von Hitlers Lieblingsregisseurin ist fertig

Der TV-Produzent Holger Roost hat den Dokumentarfilm über die Nuba-Stämme fertiggestellt und ihn umgedreht: Riefenstahl ist jetzt auch das Objekt der Betrachtung.
von  Adrian Prechtel
Nuba - fotografiert von Leni Riefenstahl: Großformate verkauft Holger Roost für bis zu 5000 Euro.
Nuba - fotografiert von Leni Riefenstahl: Großformate verkauft Holger Roost für bis zu 5000 Euro. © Holger Roost

Man könnte das, was ihr nach 1945 widerfahren ist, als "faktisches Berufsverbot" bezeichnen: Keiner wollte weitere Filme von ihr produzieren, lange Zeit kaum einer etwas von ihr publizieren - zu Recht.

Inwieweit Leni Riefenstahl (1902-2003) eine Nationalsozialistin gewesen ist, wird vielleicht nicht einmal sie selbst für sich richtig beantworten haben. Eines aber steht fest: Sie drehte nach der Machtübernahme der NSDAP die "Parteitagstrilogie" aus "Der Sieg des Glaubens", "Triumph des Willens" und "Tag der Freiheit". Und eine zweiteilige Dokumentation über die Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin.

2017 starb auch Riefenstahls 40 Jahre jüngerer Lebensgefährte und Kameramann Horst Kettner. Den Nachlass Riefenstahls erbte die Sekretärin Riefenstahls, Gisela Jahn: das Haus in Pöcking, das Studio im Keller und das Archiv. "Erst sollte alles zur Deutschen Kinemathek gehen", erzählt TV-Produzent Holger Roost: "Das wollte Frau Jahn aber nicht, weil der ehemalige Leiter, Rainer Rother, ein ,böses Buch' über Leni Riefenstahl geschrieben hatte. ,Wenn ich das dahin gebe, reißt mit die Leni im Himmel den Kopf runter', hat sie wörtlich gesagt."

Leni Riefenstahl beim Dreh eines Ringer-Rituals der Nuba.
Leni Riefenstahl beim Dreh eines Ringer-Rituals der Nuba. © Holger Roost

Ringkämpfe, Brautschau, Totenzeremonien

Holger Roost, TV-Produzent von Formaten wie "Popstars" und "GNTM", hat das ganze Erbe anders abgewickelt und es der Stiftung Preußischer Kulturbesitz übergeben, aber die kommerziellen Verwertungsrechte behalten: "Als wir das Haus in Pöcking aufgelöst haben, gab es von Riefenstahl noch den Unterwasserfilm aus den späten Jahren. Es waren viele Fotos da - und der Schneideraum. Hier fand ich auch die Riesenbüchsen mit dem Nuba-Material", erzählt Roost in seinem Studio seiner TV-Produktionsfirma La-Tresor in Schwabing. "Die Filmrollen waren nach Jahrzehnten nicht mehr im besten Zustand. Das Zelluloid war vergilbt. Schon bei der Entstehung im Sudan in den 60er-Jahren herrschten extreme Bedingungen von zum Teil 40 Grad, auch wenn Riefenstahl während ihrer monatelangen Aufenthalte dort erst einmal Erdlöcher für die Filmrollen gegraben hat."

Roost hat sich am Originalschneidetisch, den er in sein Studio gestellt hat, alles Rolle für Rolle, Sequenz für Sequenzangesehen, ausgewählt und in den Pandemiejahren von einer Spezialfirma digitalisieren lassen. Aber wozu?

Nuba-Frauen bei einem Tanz-Ereignis, fotografiert von Leni Riefenstahl in den 60er-Jahren.
Nuba-Frauen bei einem Tanz-Ereignis, fotografiert von Leni Riefenstahl in den 60er-Jahren. © Holger Roost

Warum sollte man einen Riefenstahlfilm fertigstellen?

Letztlich war das bereits von Riefenstahl vorausgewählte und zigmal umgeschnittene Material für einen Film gedacht, den sie selbst machen wollte: über diese in ihren Augen "paradiesische Kultur". Aber warum sollte man einen Riefenstahlfilm überhaupt fertigstellen? Diese Frage musste Roost - er findet "Gott sei Dank" - gar nicht beantworten. Denn auch bereits montierte größerer Sequenzen ergaben: Nichts! "Das war alles interessant, aber letztlich zusammenhanglos", erzählt Roost: "Sie hatte alles, was eine Art ,Event' war gedreht: Ringkämpfe, Brautschau, Totenzeremonien. Sie ist dann immer wieder hingefahren, um vieles noch besser zu machen und zu ergänzen. Alles war ja unter kärglichen finanziellen Bedingungen entstanden."

Das Problem: "Ihre" Nuba veränderten sich

Riefenstahl hatte also alle paar Jahre nach- und neugedreht. Sie war immer - was man den Bildern ansieht - willkommen, weil sie zunehmend Vertraute war, wenn auch als fremde Frau unter lauter Schwarzafrikanern. "Sie haben ihr spürbar auch Dinge ermöglicht, die sie anderen wohl nicht ermöglicht hätten", meint Roost. Nur gab es zunehmend ein Problem: "Ihre" Nuba veränderten sich. Die natürliche Nacktheit verschwand langsam - unter islamischem Einfluss und Einflüssen durch Arbeitsmigration. T-Shirts tauchten auf, Geld spielte plötzlich eine Rolle. "Das alles kann man auch sehen. So hatte Riefenstahl zunehmend das Problem, Anschlüsse zu finden für ihren geplanten kommerziellen Film."

Holger Roost (re.) mit dem Galeristen Alexander Gehrke.
Holger Roost (re.) mit dem Galeristen Alexander Gehrke. © Holger Roost

Der Dokumentarfotograf George Rodger lehnte jeden Kontakt ab

Aber wie hätte der ausgesehen? Wieso meinte sie, von "Ihren" Nuba in einer "heilen Welt" sprechen zu können, die "wie von einem anderen Stern" auf sie wirkten? Verrückterweise war Riefenstahl inspiriert von einem anderen Regisseur, dem britischen "Life"- und "Time"-Dokumentarfotografen und BBC-Filmer George Rodger. Der hatte 1945 die Befreiung des KZ Bergen-Belsen dokumentiert - und war von den Erlebnissen dort so geschockt, dass er sich fortan der Wildnis und Menschen in abgelegenen Gegenden dokumentarisch zuwandte - unter anderen den Nuba. Riefenstahl kannte Rodgers Reportagen aus "National Geografic", schrieb ihm, um Kontakt zu den Nuba aufnehmen zu können - und bekam die Antwort, es gäbe keine Gemeinsamkeiten zwischen ihnen und er würde sich den Kontakt verbitten.

Die Zeit in Afrika eine Entlastung von der eigenen Schuld

Sie fuhr dann trotzdem hin, um einen Spielfilm über modernen Sklavenhandel zu drehen, "Die schwarze Fracht", was auch finanziell scheiterte. "Entstanden bei der Suche nach Darstellern ist dann das Nuba-Projekt", sagt Roost. Aber was war das? "Es sollte ganz klar ein ethnologischer Film werden: die Stämme der Nuba ganz aus sich selbst erklärt, ohne Blick von außen auf sie", meint Holger Roost. Aber das ist ohnehin fast unmöglich und dazu war Riefenstahl auch zu subjektiv. "Für sie war die Zeit in Afrika eine Entlastungszeit, eine Flucht" - vor Anschuldigungen und Verleumdungsprozessen in Deutschland, vor den Fragen, ob sie KZ-Insassen für ihren Film "Tiefland" eingesetzt hatte, um sie danach zurück in den Tod zu schicken - was so war, sie aber bestritt. "Die drei oder vier Monate jeweils vor der Regenzeit im Sudan waren für Riefenstahl Befreiung von ihrer sich selbst nie eingestandenen Schuld."

Riefenstahl privat beim Affentanz und mit Nuba-Kindern

"Sehnsucht nach Unschuld" hat Roost daher seinen Film genannt - und damit nicht Riefenstahls Film fertiggestellt, sondern einen anderen gemacht. Vor allem dadurch, dass er viele Aufnahmen in den jetzt anderthalbstündigen Film zwischengeschnitten hat, die nie in den Film sollten: Riefenstahl privat vor Ort, beim Affentanz, wie sie mit Nuba-Kindern spielt, wie sie umringt von neugierigen Kindern duscht und die Kinder dann selbst unter ihrer montierten Baumdusche abspritzt. Aber man sieht sie auch, Filmbilder für ihre Filmaufnahmen arrangieren und dirigieren. Da sieht man sie auch wieder sehr herrisch, bestimmt. Musste man sie bei der Auswahl auch vor sich selber schützen? "Ja, denn sie kann von ihrer autoritären, fast fanatischen Art eben auch hier nicht lassen", sagt Roost.

So ist zwar ein Film über die Nuba entstanden, wie Riefenstahl sie in den 60ern bis Anfang der 70er antraf. Aber es ist auch ein Film über die Riefenstahl geworden bei jedem neuen Besuch. Man sieht sogar, wie sie mit einem Projektor mit Generator den Nuba ihre mitgebrachten Filmaufnahmen zeigt.

"Die Frage aber war: Was mache ich auf der Tonspur?", sagt Roost: "Ich habe Tonbandaufnahmen im Nachlass gefunden, auf denen sie ihre damals aktuellen Afrikaerfahrungen kommentiert hat. Diese Originaltonaufnahmen bilden jetzt - frei hinzugeschnitten - die Tonspur."

Nuba - fotografiert von Leni Riefenstahl. Die Ausstellung ist in der Galeriestraße 6a am Münchner Hofgarten zu sehen.
Nuba - fotografiert von Leni Riefenstahl. Die Ausstellung ist in der Galeriestraße 6a am Münchner Hofgarten zu sehen. © Holger Roost

Nackt, arm und friedlich - aus wessen Sicht?

Blieb Riefenstahls Blick auf das schwarze Volk der Nuba ein rassistischer? Ein zweifelhafter? Das diskutierte man schon in den 70er-Jahren, nachdem Riefenstahl begann, ihre Nuba-Fotos zu publizieren, die einen Stamm zeigten: nackt, nach unseren Vorstellungen extrem arm, reduziert auf die Grundbedürfnisse und anscheinend untereinander völlig friedlich. Die Bilder und Reportagen Riefenstahls wurden damals interessiert aufgenommen und trafen auf einen zivilisationskritischen und antikolonialistischen Zeitgeist.


Für Holger Roost stellt sich natürlich die Frage, ob jemand wie Riefenstahl unter die heutige Cancel Culture fällt oder fallen sollte, also in den Giftschrank gehört - auch wegen "kultureller Aneignung". "Das will ich selbst alles gar nicht beantworten. Wie auch die Frage, ob man die Aufnahmen nicht einfach den Nuba zurückgeben sollte, aber wo und wem?" Jedenfalls fühle er sich in keiner Form "als Anwalt" der Interessen Riefenstahls. Und der entstandene Film ist auch schwer kommerzialisierbar. Einige internationale, große Dokumentarfestivals jedenfalls haben ihn bereits abgelehnt.

Kein dokumentarisches Meisterwerk aber interessant

Holger Roost aber hat nicht nur den Film "Sehnsucht nach Unschuld" produziert, sondern verkauft auch die Nuba-Fotos von Riefenstahl - etwas befremdend versehen mit ihrer Unterschrift. Das geschieht jetzt in Form einer Art Faksimilestempel der eingescannten Unterschrift, wie ihn auch Politiker und Stars benutzen, um künstlich, aber gleichzeitig authentisch in großen Mengen zu unterschreiben, ohne selbst den Stift führen zu müssen. Hier geht es nur um die Unterzeichnung von jeweils auf drei Abzüge limitierte Bilder.

Roost und der Galerist Alexander Gehrke verkaufen sie, je nach Format, zwischen 950 Euro und 5000 Euro. Dazu hat Roost für gut zehn Tage Galerieräume am Hofgarten angemietet. Und der Film "Sehnsucht nach Unschuld" wird am 18. April gezeigt.

Es ist kein dokumentarisches Meisterwerk geworden, aber ein intensiver Einblick: in das Leben der Nuba, aber auch in das Leben von Leni Riefenstahl.

Ausstellung: 10. bis 30. April, täglich 12 - 18 Uhr, Galeriestraße 6 a (Odeonsplatz/Hofgarten)
Film: "Sehnsucht nach Unschuld", 18. April, 19 Uhr, Filmmuseum, Jakobsplatz. Zur anschließenden Diskussion mit Holger Roost kommt auch der Dokumentarfilmer Ray Müller ("Die Macht der Bilder", 1993)

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