Kinokritik zum neuen Film Madame Christine und ihre unerwarteten Gäste
Wohnraum für alle! Dagegen hat das Ehepaar Christine und Pierre im schicken 6. Pariser Arrondissement eigentlich nichts, verfügen sie doch mit ihrer Tochter über eine 300-Quadratmeter große Luxuswohnung. Wie eine Bombe schlägt da die Anordnung der Regierung ein, im harten Winter Obdachlosen Wohnraum zu verschaffen, sprich zu beschlagnahmen. "Le Grand Partage" so der treffendere Originaltitel: "Das große Teilen" beginnt.
Ersteinmal versucht es Monsieur mit List, holt seine mürrische Mutter aus dem Altersheim und quartiert auch noch die Putzfrau ein: So jetzt ist alles voll! Und die intellektuellen Nachbarn, sonst immer mit linken Parolen vorneweg, stecken schnell eine Bedürftige in die Dienstbotenkammer. Aber leider gibt‘s eine Denunziantin, und bald tummeln sich fremdes Volk, Flüchtlinge und Notleidende auf teuren Teppichen, fläzen sich in feinen Fauteuils und futtern den Kühlschrank leer.
Alexandra Leclère verzichtet auf Larmoyanz über soziale Ungerechtigkeit, sie zieht die konservative Bourgeoisie genau so durch den Kakao wie progressive Gutmenschen. Wenn es an eigene Pfründe geht, hört die Toleranz bei beiden schnell auf. Solidarität?
Vielleicht in der Wahlkabine, aber sonst: Nein, danke! Zwar fehlt es in dieser beißenden Komödie an keinem Klischee und keiner Figurenüberzeichnung, aber beim Zusammenprall von Arm und Reich, sind nicht nur die Gewinner, sondern auch die Verlierer des Systems moralische Wackelkandidaten, verschwindet auch schon mal ein Notebook durch die "Gäste".
Total moralfrei ist die übellaunige Concierge (Josiane Balasko als rassistisches Ekelpaket), die als Front-National-Anhängerin kein Blatt vor den Mund nimmt, aber geschäftstüchtig eine Webseite zum Tausch von Mittellosen betreibt.
Die heimliche Lust der Bourgeoisie nach Anarchie
Als sexuell frustrierte Madame Christine toppt Karin Viard an elitärer Arroganz alle, bis es ihr zwischen Schönheitsschlaf und Bogenschießen langsam dämmert, dass es für die Seele eben nicht reicht, nur Dinner-Einladungen zu organisieren. Sie will raus aus dem Kosmos der Ordnung und wirkt auf den ersten Blick als Karikatur einer typischen Repräsentantin des "Alten Frankreichs" mit seiner Funktionärskaste, die sich nur in den eigenen Zirkeln bewegt.
Aber man entdeckt hinter der Fassade verlorene Träume, nicht gelebte Fantasien. Dass am Ende Menschlichkeit triumphiert, passt zu diesem charmanten Wohlfühlkino mit kleinen Giftspitzen. Böser Humor, politische Unkorrektheit und scharfe Dialoge, dazu eine dicke Portion Gefühl: eine sehr französische Melange.
Kino: Arena, Leopold, Isabella und Theatiner (OmU)
B&R: Alexandra Leclère
(F, 103 Min.)
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