Kinokritik zu "Winterreise": Mitmachen, fliehen, spielen

"Winterreise": Die Geschichte eines Musiker-Ehepaars, das sich in den 30er Jahren in Goebbels' "Jüdischem Kulturbund" engagierte.
von  Margret Köhler
Bruno Ganz als Günther Goldsmith.
Bruno Ganz als Günther Goldsmith. © Real Fiction

Seit seiner Kindheit spürte Martin Goldsmith ein Geheimnis in seiner Familie, die deutsche Vergangenheit war tabu. Jahre nach dem Tod seiner Mutter traut er sich, seinen Vater Günther zu fragen, was damals passierte, was ihn in die staubige Wüste von Arizona brachte.

Das Doku-Drama mit Bruno Ganz in seiner letzten Rolle blättert zurück in die 30er Jahre als der junge Mann von einer Karriere als Flötist träumte, die abrupt endete als man ihm das Abschlussexamen verwehrt und es auf immer mehr Schildern heißt "Juden sind hier unerwünscht". Der 22-Jährige wollte nach dem Erlass der Nürnberger Gesetze 1935 das Land verlassen. Doch es kam erst einmal anders.

"Winterreise": Ein Kaleidoskop über die Vergangenheit der Familie

"Winterreise" beruht auf dem Buch von Goldsmith nach den Gesprächen über Liebe, Musik und Tod unter dem Titel: "Die unauslöschliche Symphonie. Musik und Liebe im Schatten des Dritten Reiches - eine deutsch-jüdische Geschichte". Der dänische Regisseur Anders Østergard verknüpft die inszenierten Gespräche, fantasiereich bearbeitetes Archivmaterial und nachgestellte Szenen zu einem Kaleidoskop über die Vergangenheit der Familie.

Die Atmosphäre bleibt dennoch dokumentarisch. Nach und nach schält sich das Schicksal von Günther Goldsmith heraus, der die geplante Ausreise verschob, weil der "Jüdische Kulturbund" ihn zu einem Konzert nach Frankfurt einlud, wo er die Orchestermusikerin und seine spätere Frau kennenlernte: "Wir waren jung und wollten spielen". Dass der "Kulturbund" Goebbels nur als Propagandainstrument diente, war ihnen lange nicht bewusst. Neben dem Grauen der NS-Bilder stehen der Abschied 1941, das Einschiffen des Paares in Lissabon und schließlich das Ankommen in New York mit vier Dollar in der Tasche.

Bruno Ganz gibt in dieser bewegenden Erzählung dem Protagonisten ein Gesicht: ein Mensch, der trotz Ruhe keinen Frieden findet, wie viele Überlebende.


Kino: City, Solln sowie Isabella, Theatiner (jeweils OmU)
R: Anders Östergaard und
Erzsébet Rácz
(DK,D, 99 Min.)

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