Kino-Neustarts: Film-Kritik zu "Ein wandernder Stern" mit Shia LaBeouf
Was antwortet man auf die Frage: Wozu brauchen Sie (mehr) Geld? Wahrscheinlich: mehr Freiheit, mehr Sicherheit! Und bis zu einem gewissen Grade stimmt das ja auch, solange man sich nicht zu stark einspannen lässt in die kapitalistische Tretmühle des „Immer mehr!“
Aber vielleicht stimmt ja auch der verzweifelt klingende Satz von Janis Joplin, („Freiheit ist nur ein anderes Wort dafür, nichts mehr zu verlieren zu haben“). Dass Freiheit also nur ganz unten möglich ist wie bei Diogenes in der Tonne. Aber das ist schöne Philosophie. Geht es bei ihrem Aufbruch ums „nur weg!“ oder ums „wohin“?
Sasha Lane spielt in „American Honey“ eine junge Frau, gerade noch Mädchen. Star heißt sie. Sie kümmert sich um ihre kleinen Geschwister in einem verwahrlosten Haushalt mit abwesendem, trinkenden Vater. Star ist hübsch, abgeklärt, aber dann doch lebenshungrig genug, um nicht jetzt schon mit dem Leben fertig zu sein. Später, als sie sich längst auf den Weg gemacht hat, bei dem es viel mehr ums „weg!“ als ums „wohin?“ geht, wird ein Truckfahrer Star fragen: „Do you have dreams?“ Da ist sie gerade von einem Prostitutions-Date per Anhalter unterwegs. Aber diese Frage wird auch ihr neues Leben, das immer unterwegs ist, in Frage stellen und in ihr unbewusst weiter schwelend zur Wende führen.
Shia LaBeouf als charismatischer Lebensspieler
Die Britin Andrea Arnold hat mit „American Honey“ einen packenden, fantastischen, sinnlichen und auch harten Film gedreht, einen Road-Movie, in dem Spätjugendliche als Drückerkolonne durch die US-Kernstaaten fahren, um an Haustüren Zeitschriften-Abos abzuschließen. Aber dieses „On the Road“ ist kein Freiheitsversprechen mehr, sondern – bei allem Feiern in der Ersatzfamilie der Gruppe – vor allem getrieben von Einsamkeit und verzweifelter Suche nach etwas Geld.
Shia LaBeouf ist in der Drückerkolonne der mitreißende, charismatische Lebensspieler, der Vertreter des schnellen gefährlichen Lebens im Hier und Jetzt. Und das ist einer der Spannungsmomente des Films, dass man als Bürgerlicher in einen Zwiespalt aus neidischer Bewunderung für die Freiheit gerät und dem sicheren Gefühl, dass so ein Leben unweigerlich ins Chaos, ins traurige Verderben führen muss. Man ist von Star fasziniert und bangt gleichzeitig mit ihr, ob ihr ein Absprung noch rechtzeitig gelingen wird.
Intelligenterweise romantisiert Arnold auch nicht das Vagabundenleben in der Kommune. Denn auch hier – ganz unten - herrschen harte kapitalistische Regeln: Leistung beim Aboverkauf wird durch gemeinsame Aufputsch-Riten angespornt und wer nicht genügend Umsatz macht, auf den warten erniedrigende Bestrafungsrituale. Der Kapitalismus hat uns endgültig jegliche Hippie-Romantik ausgetrieben. Was „American Honey“ neben aller Genauigkeit der Personenzeichnung und Psychologie auszeichnet, ist die Kunst, dabei symbolische Szenen ganz natürlich einzubauen: So wird Star einmal bei einer gefährlichen Party mit drei Südstaaten Rednecks brutal im Pool landen, mit nassem T-Shirt entkommen und am Ende in einen See gehen – wegtauchen, aus dem Leben?
Aber auch hier steht am Ende die Hoffnung, dass sich diese junge, starke Frau nicht mehr weiter treiben lässt, sondern das Leben wieder packt. „American Honey“ unterläuft elegant dramaturgische Erwartungen und schafft so eine noch größere Lust, diesen Lebenswegen zu folgen – und ganz besonders Star – frei, aber auf der Suche nach einer sicheren Bahn. Ein Traum, ein realistischer Film.
Kinos: Arena Filmtheater, City, Gabriel, Mathäser Buch und Regie: Andrea Arnold (USA / GB, 153 Min)
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