"Janis: Little Girl Blue": Das verzweifelt Konservative
1970: Janis Joplin ist längst ein Weltstar, eine Heldin der Hippie-Hochburg San Francisco. Sie kreischt den Blues so schrill, dass ordentliche Bürger die Polizei und Doris Day herbeisehnen. Beim Monterey Pop Festival ist sie 1967 zum Star geworden, zwei Jahre später jubeln ihr in Woodstock eine halbe Million Menschen zu. Und was schreibt so eine in Briefen an ihre Eltern? „Ich habe einen Mann kennengelernt, und er wird mich heiraten, ich glaube, der meint es ernst.“
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Klassentreffen mit Federboa zwischen braven Mitschülern
Die Briefe nach Hause sind der rote Faden in Amy J. Bergs konventionellem, doch sehenswerten Dokumentarfilm „Janis: Little Girl Blue“. Die Sängerin Cat Power liest sie mit einer Stimme, die Janis’ Klang gespenstisch ähnelt, und die Texte werfen ein anderes Licht auf die Sängerin als die Archivaufnahmen und Interviews mit Weggefährten. Denn auch wenn Janis eine Ikone der Gegenkultur war: Ganz konnte sie sich nicht von den Konventionen lösen, die ihr in einer texanischen Kleinstadt der Fünfziger Jahre eingeimpft worden waren.
Stolz berichtete sie der Mutter von der schönen Wohnung, die sie gefunden hat. Wenn sie von ihren Erfolgen schrieb – sie war der erste weibliche Rockstar – klingt das, als ob sie sich für ihre unkonventionelle Berufswahl rechtfertigt. Und immer wieder ging es darum, einen Mann zu finden.
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Die vergebliche Suche nach Liebe ist ein tragisches Thema in ihrem Leben. Während ihre Bandkollegen nach Konzerten Groupies abschleppten, blieb sie meist allein. Das stärkte ihr Selbstbewusstsein nicht gerade, und sie haderte ohnehin mit ihrem Aussehen: 1962 hatten grausame College-Kommilitonen sie zum „hässlichsten Mann des Campus“ gekürt. Ein Freund erzählt, dass er sie da zum einzigen Mal weinen sah.
Traurig blieb sie auch als Star. Nur auf der Bühne erhielt sie die Liebe und Anerkennung, nach der sie suchte – nach den Auftritten spritzte sie Heroin. Wie wenig selbstbewusst sie auch noch war, als alle Welt ihr zujubelte, spürt man bei Archivaufnahmen von 1970: Da besuchte Janis Joplin ein High-School-Klassentreffen in Texas.
Zwischen den braven Mitschülern wirkt sie mit ihrer Federboa wie ein Alien, und unsicher. Es war ihr letzter Besuch in der Heimat. Im Oktober starb sie an einer Überdosis. Der Film würdigt ihre Musik, vor allem erzählt er vom kurzen Leben einer einsamen Frau.
Kinos: Atelier, Maxim, Monopol R: Amy J. Berg (USA, 103 Min.)
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