Iris Berben in "Miss Sixty": Frisch wie am ersten Tag
Fürs „Kinder machen“, wie Andreas Bernard es in seinem aktuellen Buch darlegt, braucht es keinen traditionellen Sex unter der Bettdecke. Die Reproduktionsmedizin ist heute der Renner und die späte Mutter angesagt. Normalerweise tickt eben auch die biologische Uhr mit Ende Dreißig. Mit 60 die biologische Uhr zurückdrehen möchte aber die renommierte Molekularbiologin Luise.
Als ihr Chef und Ex-Lover sie an ihrem runden Geburtstag in den vorzeitigen Ruhestand entlässt und die Konkurrentin ihr zum Abschied kühl ihre vor Jahren eingefrorenen Eizellen aus einem Forschungsprojekt überreicht („frisch wie am ersten Tag“), malt Luise sich eine Zukunft als Mutter aus. Bald hat sie einen Samenspender im Internet entdeckt – jung, hübsch und auch noch intelligent. Beste Gene. Ausgerechnet dessen Vater läuft ihr aber über den Weg – heftige Abneigung auf den ersten, Zuneigung auf den zweiten Blick.
Aus dieser Konstellation strickt Arthouseproduzentin Sigrid Hoerner („September“, „One Day in Europe“) in ihrem Regiedebüt kein schweres Identitätsfindungsdrama, sondern eine leichte Komödie über das Suchen und Finden der Liebe. Coming of Age mal ganz anders.
Eine charmante Iris Berben, die bösartige verbale Spitzen abschießt, und ein umwerfend komischer Edgar Selge als selbstverliebter Alt-Achtundsechziger mimen das Duo, das mit den Schwierigkeiten des Alterns kämpft, dem Sinn des Lebens nachjagt und dem Hunger nach großen Gefühlen. Der Zusammenprall von reifer Frau und (un)reifem Mann, die die emotionalen Klingen kreuzen, ist ein augenzwinkernder Angriff auf junge Nesthocker, alte Spießer und eine die Zeichen der Zeit übersehende „Forever Young-Generation“.
Während der Galerist mit Hang zu Haarteil und Hexenschuss sich für einen tollen Hecht hält und beim überfallartigen Sex mit der Assistentin wie ein 16-Jähriger mit Hormonstau aufführt und sogar die Zunge piercen lässt, hat „Miss Sixty“ Haare auf den Zähnen, rennt mit Pseudo-Schwangerschaftsbauch herum, übt auf dem Spielplatz Geduld und Sanftheit möglichen Mutterseins. Dabei wird mit dem Vorurteil gegen künstliche Befruchtung und „alten“ Müttern aufgeräumt, kriegen „Sugar Daddys“ ihr Fett weg, die sich mit jungen Mädels schmücken.
Neben der richtigen Dosierung von Komik und Ernsthaftigkeit, geschliffenen Dialogen und perfektem Timing trumpfen nicht nur die beiden Hauptdarsteller auf, sondern auch tolle Sidekicks, allen voran Carmen-Maja Antoni als dominantes Muttertier und einen weinfreudigen, aber immer weltklugen Bonvivant Michael Gwisdek.
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