"In Zeiten des abnehmenden Lichts": Falscher Idealismus
Erster Oktober 1989: der 90. Geburtstag von Wilhelm Powileit, der mit seiner Frau in der Villa die Gäste erwartet. Der Altkommunist rechnet mit den üblichen Ritualen: lange Reden, Schulter klopfende Funktionäre, ungeliebte Nachbarn, singende Pioniere, ein weiterer Verdienstorden und jede Menge Blumensträuße – "Gemüse für den Friedhof", wie er sagt. Und wenige Tage später steht ein weiteres Jubiläum an: der 40. Jahrestag der DDR. Dass in vier Wochen die Mauer fällt und das Land bald nicht mehr existiert, liegt außerhalb jeder Vorstellungskraft. Powileit kehrte für den Aufbau der DDR aus dem mexikanischen Exil zurück. Seine Familie hat der Alt-Stalinist fest im Griff, den Stiefsohn (Sylvester Groth), der als Historiker arbeitet und seine russische Frau betrügt, dessen Schwiegertochter, die ohne ihren Mann (Alexander Fehling) erschienen ist, der bisher immer den schweren Ausziehtisch für das Büffet aufstellte, heute aber fehlt.
Die Nachricht seiner Flucht in den Westen schlägt ein wie eine Bombe. Plötzlich kommen lang gehütete Geheimnisse hoch, Gräben zwischen den Generationen tun sich auf, ideologische Lügen werden enttarnt.
Eine Verfilmung seiner bewegten und bewegenden Familienchronik konnte sich Eugen Ruge nicht vorstellen. Doch es gelang optimal. Den Roman, der sich auf 430 Seiten von den 50er Jahren bis 2001 erstreckt, hat Matti Geschonneck auf die Leinwand gebracht und – von Prolog und Epilog abgesehen – auf einen einzigen Tag komprimiert, ganz ohne Rückblenden. Dafür war der legendäre Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase ("Sommer vorm Balkon") prädestiniert.
Der leichte Ton für ein schweres Thema
Ihm gefiel der leichte Ton für ein schweres Thema. Die Geschichte des untergegangenen Landes hat er selbst erlebt, auch Menschen mit ähnlichen Lebensläufen, die wie die Filmfiguren die Widersprüche des vergangenen Jahrhunderts ausgetragen und erlitten haben.
Ein Meisterstück, wie Drehbuchautor und Regisseur Spannung auf engstem Raum schaffen, illusionslos ein Stück Zeitgeschichte aufdröseln und lebendig machen – und zwar nicht als pädagogische Lektion, sondern als absurdes Theater und atmosphärisch dichtes Kammerspiel, als tragikomischen Abschied vom real existierenden Sozialismus und seinen Idealen.
Und Bruno Ganz als grummelnder Alt-Genosse ist eine schauspielerische Wucht.
Kino: ABC, City, Solln, Monopol
Regie: Matti Geschonneck (99 Min.)
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