Kritik

"Ich will alles": Warum der neue Dokumentarfilm über Hildegard Knef so berührend ist

Deutschland und sein emanzipiertes, modernes Ausnahmetalent: Im neuen Dokumentarfilm sind viele neue Facetten der Knef und unserer Bundesrepublik zu sehen.
Adrian Prechtel
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Selbstbewusser Vamp mit Blick auch auf eigene Abgründe: Hildegard Knef.
Privatarchiv Hildegard Knef/Piffl Medien 5 Selbstbewusser Vamp mit Blick auch auf eigene Abgründe: Hildegard Knef.
Ernst Wilhelm Borchert als Doktor Hans Mertens und Hildegard Knef als Susanne Wallner in einer Szene des Films "Die Mörder sind unter uns" (1946).
picture alliance/dpa/DEFA-Stiftung/Icestorm 5 Ernst Wilhelm Borchert als Doktor Hans Mertens und Hildegard Knef als Susanne Wallner in einer Szene des Films "Die Mörder sind unter uns" (1946).
Hildegard Knef erholt sich im Juli 1973 nach einem längeren Klinikaufenthalt in Strobl am Wolfgangsee in Österreich.
picture alliance/dpa 5 Hildegard Knef erholt sich im Juli 1973 nach einem längeren Klinikaufenthalt in Strobl am Wolfgangsee in Österreich.
Hildegard Knef zeigt ihrem Mann Paul von Schell am 31.08.1995 das Freigelände unter dem Berliner Funkturm.
picture-alliance / dpa/dpaweb 5 Hildegard Knef zeigt ihrem Mann Paul von Schell am 31.08.1995 das Freigelände unter dem Berliner Funkturm.
Hildegard Knef bei Aufnahmen im WDR-Studio.
picture-alliance / WDR 5 Hildegard Knef bei Aufnahmen im WDR-Studio.

Der satirische Autor Max Goldt hat zu ihren Wimpern gesagt, sie sähen aus, als ob sich eine Kolonie von Blattläusen auf ihnen niedergelassen hätten. Gerade singt sie - 1969 auf einer Tournee – ihren großen Selbstermächtigungs-Song "Für mich soll's rote Rosen regnen" und die Kamera fährt immer näher heran: "... will alles, oder nichts!"

Man schaut jetzt in ihre großen metallischen Augen mit dem dunklen Rand um die Pupillen – und sieht: das Aufklärerische, Selbstbewusste, Verführerische und letztlich Wahrhaftige. Und es ist klar: Diese Frau wird die kommenden anderthalb Stunden den Dokumentarfilm "Ich will alles. Hildegard Knef" tragen: lässig, schonungslos offen, ungeschützt.

Hildegard Knef bei Aufnahmen im WDR-Studio.
Hildegard Knef bei Aufnahmen im WDR-Studio. © picture-alliance / WDR

Inbegriff der Nachkriegsfrau? Nein, dazu viel zu modern

Erst gute zwanzig Jahre zuvor war in Deutschland Stunde Null gewesen. Ein Zug fährt durch die Ruinen von Berlin. Eine junge, schmale, blonde Frau steigt aus - ernst, still, aber nicht verhärmt. Es ist Hildegard Knef, 20 Jahre alt – als Susanne Wallner im ersten deutschen Nachkriegsfilm mit dem programmatisch irritierenden Titel: "Die Mörder sind unter uns".

Hildegard Knef wäre eigentlich der positive Inbegriff einer deutschen Nachkriegsfrau gewesen, aber dafür war sie dann doch zu unangepasst, emanzipiert, modern und wahrheitsliebend. So wurde ihr Leben ein Auf und Ab der Karriere, ein Scheitern in Hollywood und ein folgender Broadway-Triumph im Cole-Porter-Musical "Silk Stockings". Dazwischen noch Skandale und Misserfolge in Deutschland – mit dem zigfachen Tabubruch in "Die Sünderin" 1951: Nacktheit, Prostitution und Freitod mit Protesten, Demonstrationen, Hassartikeln und "brennenden Kinos", wie sie erzählt.

Schon mit 30 Jahren hatte sie ein ganzes Leben gelebt – inklusive Volkssturm, Endkampf um Berlin und Liebe zu einem hohen NS-Filmfunktionär. Der Film "Ich will alles" der Schweizerin Luzia Schmid wird Hildegard Knef bis Mitte der 80er-Jahre begleiten – dem Ende ihrer Tourneen mit Liedern, die die Knef selbst als "unverschämt autobiografisch" bezeichnet. Jetzt ist sie 23 Jahre tot und Ende Dezember wäre ihr 100. Geburtstag, der mit dem Film jetzt vorgefeiert wird.

Ernst Wilhelm Borchert als Doktor Hans Mertens und Hildegard Knef als Susanne Wallner in einer Szene des Films "Die Mörder sind unter uns" (1946).
Ernst Wilhelm Borchert als Doktor Hans Mertens und Hildegard Knef als Susanne Wallner in einer Szene des Films "Die Mörder sind unter uns" (1946). © picture alliance/dpa/DEFA-Stiftung/Icestorm

Aber neben den vielen Dokumentaraufnahmen, Interviews und Selbstaussagen, mit denen man die Knef kennenlernt, ist "Ich will alles" noch viel mehr. Er ist auch ein Spiegel der Bundesrepublik und ihrer Medienwelt – nicht nur der Boulevardpresse, mit der die Knef ein symbiotisches Verhältnis einging. "Ich gebe Euch mein Inneres, ihr haltet mich im Gespräch" – das war hier kein Teufelspakt, sondern bewusste Steigerung des Starkults und der Auflagen. Eine Folge davon war natürlich eine Vereinnahmung.

"Die Knef" – der Name ohne Vorname ist das Privileg einer Diva – wurde gleichzeitig auch zu "unsere Hilde". Jeder glaubte zu wissen, was diese Frau dachte und fühlte – und das stimmte auch. Denn die Knef erzählt alles – wie dem Talkmaster Blacky Fuchsberger in "Heut' Abend". Da spricht sie mit Mitte 50 über ihre schönheitschirurgischen Eingriffe. Zuvor hatte sie schon über 50 Operationen wegen Krebs und anderer gesundheitlicher Schwierigkeiten hinter sich.

Hildegard Knef erholt sich im Juli 1973 nach einem längeren Klinikaufenthalt in Strobl am Wolfgangsee in Österreich.
Hildegard Knef erholt sich im Juli 1973 nach einem längeren Klinikaufenthalt in Strobl am Wolfgangsee in Österreich. © picture alliance/dpa

"Warum dann noch mal freiwillig unters Skalpell?", fragt Fuchsberger. "Die Emanzipation hat eben nicht wirklich stattgefunden", antwortet sie: "Gerade in meinem Beruf wird eine gewisse Zeitlosigkeit verlangt. Ich habe nicht vor, jetzt 18-Jährige zu spielen. Aber die Zeitlosigkeit wird abverlangt: ein gewisser Glamour, etwas Unveränderbares, das von Männern nie verlangt wird." Facelifting sei immerhin besser als Valium. Aber im Filmverlauf wird es auch um die Tablettensucht der Knef gehen, ihren krankheitsbedingten Morphinkonsum.

Sie redet intim, intelligent – und poetisch druckreif

Hildegard Knef ist in allen Interviewsituationen immer auffällig witzig und ernst zugleich, selbstironisch und schlagkräftig. Dabei fällt auch auf, dass es immer Männer sind, die bis in die 80er-Jahre den Journalismus prägen. Aber – auch das ist das Schöne: Weil die Knef Dummheit und Oberflächlichkeit verabscheut und gegebenenfalls auflaufen lässt, sind die Fragesteller gut vorbereitet, sogar fair und tiefgründig.

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Das ist auch deshalb notwendig. Denn Hildegard Knef ist eine hochintelligente, selbstreflektierte und gesellschaftspolitisch mitdenkende Frau. Und sie ist auch noch sprachlich begnadet: Sie redet nicht nur druckreif, sie redet poetisch druckreif, dabei nie mit einem Wort zu viel oder metaphorischem Vernebelungs-Schwulst: Ihre Sprache ist von klarer Schönheit.

So kann der Film – neben ihren Songs und Interviews – auch noch auf ihre Literatur bauen: wie Texte aus dem Bestseller von Hildegard Knef, "Der geschenkte Gaul" von 1970, der dem deutschen Nachkriegsgefühl eine – wenn auch selbstkritische, aber letztlich auch befreiende – Stimme gab. Denn daran ließ Knef unbequemerweise keinen Zweifel: Die Deutschen waren Täter, aber sie haben eben auch brutal gelitten, worüber in Anbetracht der erdrückenden Schuld offiziell nicht geredet wurde.

Hildegard Knef zeigt ihrem Mann Paul von Schell am 31.08.1995 das Freigelände unter dem Berliner Funkturm.
Hildegard Knef zeigt ihrem Mann Paul von Schell am 31.08.1995 das Freigelände unter dem Berliner Funkturm. © picture-alliance / dpa/dpaweb

Es ist eine der formalen Stärken des Films, sich inhaltlich fast ausschließlich auf die Originaltöne der Knef zu verlassen. Zitate von ihr hat die Schauspielerin Nina Kunzendorf eingesprochen. Dieser Film erfindet dabei das Dokumentarfilm-Genre künstlerisch nicht neu. Es gibt viel wunderbares Film- und Fernsehmaterial von und mit der Knef, und zwischendurch kommen auch kurz sogenannte Talking Heads wie die Tochter und der letzte Ehemann zu Wort.

"Hildegard Knef – Ich will alles" ist also im klassischen Sinne brav und so in einem wunderbaren Kontrastverhältnis zu seiner frechen, emanzipierten und künstlerischen Protagonistin. "... kann mich nicht fügen, kann mich nicht begnügen, will immer noch siegen …", singt sie bis zum Schluss: "Will alles – oder nichts!" Und all das entwickelt eine große Intensität, dass man lacht, weint, versteht und tief berührt ist.

Kino: ABC, Theatiner, Monopol, City, Rio
Luzia Schmid (D, 90 Min.)

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