"Her" mit Joaquin Phoenix: Kann diese Liebe Sünde sein?

Ein genialer Zeitspiegel in eine nahe Zukunft verlegt, die wir schon kennen: Spike Jonzes „Her“ mit Joaquin Phoenix
Adrian Prechtel |
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Ein genialer Zeitspiegel in eine nahe Zukunft verlegt, die wir schon kennen: Spike Jonzes „Her“ mit Joaquin Phoenix
Wenn man von der Zukunft einmal auf unsere heutige Gesellschaft zurückschaut, welchen Schmerz wird man vor allem diagnostizieren? Den Verlust an echtem Lebensgefühl und Verwurzelung, weil Dialekte, alte Bausubstanz und Bevölkerungsstrukturen, unberührte Natur und das Ungestörtsein durch Unerreichbarkeit verschwanden. Spike Jonze zeigt uns in „Her“ eine so nahe Zukunft, dass wir uns in ihr sofort zuhause fühlen.

Ja, so sieht unsere politisch korrekte Zukunft aus: entmännlicht!

Sie ist auch nicht düster, sondern hell, modern, urban, weich, unmännlich, nerdig, hipsterig. Und darin hat Jonze subtil intelligente Kritik eingebaut und Lebensfragen, die uns treffen. Theodore (gespielt von Joaquin Phoenix) ist in einer Agentur beschäftigt, die gestressten oder gefühlsverarmten Menschen anbietet, in ihrem Namen handschriftliche Briefe zu verfassen – an die Geliebte, die Frau zum Hochzeitstag, die Oma, die man seit Jahren nicht besucht hat... Damit ist Theodore als Mensch gekennzeichnet, der mit Gefühlen umgehen, spielen kann. Aber er ist – vielleicht auch eine Tendenz unserer Gegenwart – sanft autistisch, narzisstisch. Und es stellt sich die beklemmende Frage, ob nicht gerade unsere technisch ermöglichte Dauerkommunikation Einsamkeit nach sich zieht. So tut sich Theodore schwer, echte emotionale Bindungen einzugehen, sich einem anderen zu öffnen.

Zeitgeist-,  Zeitpsychophänomen

Und an diesem Zeitpsycho-Phänomen setzt „Her“ an. Denn die Computerwelt bietet dem Einsamen jetzt eine virtuelle Partnerin an – weit ausgebauter als Siri, die heutige Smartphone-Stimme, oder die Navi-Frau in unserem Auto. Denn „Samantha“ liest sich in deine E-Mails ein, kennt deinen Zeitplan, durchleuchtet deine Umgebung und kennt uns so gut, dass sie das ideale Gegenüber ist – nicht sklavisch angepasst, aber einfühlsam. Und so entsteht eine emotionale Abhängigkeit, die wir ansatzweise ja schon heute von unserem Smartphone und elektronischer Kommunikation kennen. Neben diesen persönlichen Lebens(gestaltungs)fragen werden noch ganz aktuelle technik-philosophische aufgeworfen: Kann eine virtuelle Person durch Erfahrung und Kontakt mit menschlichen Reaktionen wie wir selbst eine individuelle Persönlichkeit ausbilden, ja sogar glaubwürdige Gefühle entwickeln?

Sex ohne Körper

Und wenn ja: Was heißt es, wenn man zu dieser Stimme mit ihrer individuell angereicherten Persönlichkeitsstruktur eine Beziehung aufbaut? Der Film spielt das bis zum gemeinsamen Urlaub und sogar Orgasmus mit der Frau ohne Körper durch. Und so spitzt sich die Frage zu: Fehlt uns überhaupt noch etwas, wenn uns eine optimal auf uns abgestimmte virtuelle Welt umgibt, die leichter lebbar ist als die wirkliche? Bizarr? Nein, denn wenn man es sieht, ist das schon unheimlich nah. Und „Her“ (im Original mit der Stimme von Scarlett Johansson, in der deutschen Synchronfassung eigentlich passender anonym) erzeugt mit alledem eine schwebende, melancholische, aber neugierige Atmosphäre bei uns Zuschauern und wirkt in unseren Köpfen weit über den Abspann hinaus.

Kino: Eldorado, Leopold; City und Monopol (OmU) und Museum Lichtspiele, Cinema (OF), R: Spike Jonze (USA, 126 Min.)

 

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