"Harvest Time" im Kino: Zuschauen, wie Großes entsteht
Wenn die legendären Alben der Rockgeschichte neu aufgelegt werden, können die Fans in den Booklets stets deren Entstehungsgeschichte nachlesen. Anders ist das bei dem Boxset, das gerade anlässlich des 50. Jubiläums von Neil Youngs erfolgreichster Platte "Harvest" erschienen ist: Bei deren Entstehung kann man zuschauen. Young ließ sich damals nämlich von einer Kamera begleiten, und der Dokumentarfilm "Harvest Time" ist nun Teil der "Harvest 50th Anniversary Edition", die daneben noch ein paar unveröffentlichte Aufnahmen enthält und den Filmmitschnitt von Neil Youngs Soloauftritt bei der BBC 1971.
Faszinierenden Einblick in die Rockszene der frühen Siebziger
Die zweistündige Doku "Harvest Time" wird außerdem in einigen Vorstellungen auf der großen Kinoleinwand gezeigt, auch in München. Sie hat zwar ihre Längen, zumal der junge Songpoet fast nur Nichtssagendes in die Kamera spricht, bietet aber einen faszinierenden Einblick in die Rockszene der frühen Siebziger. Young und sein Team um Manager Elliot Roberts setzten einerseits schon viele Millionen um, gehörten andererseits aber zur Gegenkultur: Das wird eindrücklich spürbar, als der selbsterklärte "reiche Hippie" mit dem London Symphony Orchestra live die Songs "A Man Needs A Maid" und "There's A World" aufnehmen will. Young sitzt in vollendeter Zotteligkeit am Flügel, während die gesetzten Herrschaften im Anzug ihre Geigen stimmen. Sein Arrangeur und Bandmusiker Jack Nitzsche betrachtet alles mit Bierdose in der Hand.
Keine Ahnung vom Orchester: Der junge Neil Young
Dessen Versuche, das Orchester selbst zu dirigieren, waren gescheitert, was der Film leider unterschlägt. Die Szene setzt ein, kurz nachdem sich der Geiger David Meecham angeboten hat, die Session zu retten. Und das ist sehr unterhaltsam, weil der junge Neil Young offenkundig keine Ahnung hat, wie ein Orchester funktioniert: Die Musiker folgen dem Sänger bei seinen Rhythmuswechseln nicht intuitiv wie seine Rockkollegen, wie er annimmt, sondern halten sich eisern an die Taktimpulse des Dirigenten.
Auch der erste Durchlauf mit Meecham gerät zum kakophonischen Fiasko und der verständnislose Young zieht sich genervt zurück. Doch wie der unbekannte Geiger danach zwischen ihm und dem Orchester musikalisch vermittelt, die Klassik-Kollegen durch den Song lotst und die Aufnahme wuppt: Das ist mehr als respektabel und sehenswert.
Am Ende steht sogar der namenlose "Old Man" vor der Kamera
Der Film zeigt auch die Band-Sessions in der Scheune von Neil Youngs riesigem kalifornischen Anwesen, wo ein Mikrofon im Freien den natürlichen Hall zwischen den Hügeln einfängt, sowie die späteren Studio-Sessions mit den Herren Crosby, Stills und Nash, deren Gesang den zuvor rauen Aufnahmen einen Zauber verleiht.
Und am Ende des Films steht sogar der namenlose "Old Man" aus Neil Youngs Nachbarschaft vor der Kamera, über den dieser den allerbesten Song von "Harvest" geschrieben hat.
Der Dokumentarfilm "Harvest Time" läuft am Dienstag, 20 Uhr, im Arri Kino und am Mittwoch, 18 Uhr, im Cinemaxx.
Neil Young: "Harvest 50th Anniversary Edition" ist bei Reprise Records/Warner erschienen.