Golshifteh Farahani: „Männer zerstören die Welt“

Die iranische Schauspielerin Golshifteh Farahani ist beim Filmfestival von Locarno mit einem Preis geehrt worden. Im AZ-Interview spricht sie über politische und persönliche Traumata und die Situation in ihrer Heimat
von  Georg Seitz
Die iranische Schauspielerin Golshifteh Farahani wurde 1983 in Teheran geboren. Sie spielte seither in rund drei Dutzend internationalen Filmen, in Hollywood-Produktionen wie „Pirates of the Caribbean: Salazars Rache“ (Regie Joachim Ronning, Espen Sandberg) wie auch in Arthousefilmen wie „Lolita lesen in Teheran“, der Anfang Dezember in die Kinos kommt.
Die iranische Schauspielerin Golshifteh Farahani wurde 1983 in Teheran geboren. Sie spielte seither in rund drei Dutzend internationalen Filmen, in Hollywood-Produktionen wie „Pirates of the Caribbean: Salazars Rache“ (Regie Joachim Ronning, Espen Sandberg) wie auch in Arthousefilmen wie „Lolita lesen in Teheran“, der Anfang Dezember in die Kinos kommt. © picture alliance/dpa

Bei der Eröffnung des 78. Filmfestivals im schweizerischen Locarno stand eine Frau auf der Bühne, die politische Krisen am eigenen Leib erfahren hat: Golshifteh Farahani (42). Die iranische Schauspielerin musste vor 17 Jahren aus ihrer Heimat flüchten, nachdem sie als erste Iranerin seit der Islamischen Revolution, die in einer großen Hollywoodproduktion mitgespielt hatte. Auf Instagram hat Farahani heute 17 Millionen Follower und nutzt den Kanal für die Frauenbewegung im Iran. In Locarno stellte sie den bereits in Cannes gezeigten Film „Alpha“ von Julia Ducournau vor, der bisher noch nicht in den Kinos zu sehen war.

AZ: Frau Farahani, vor 17 Jahren mussten Sie Ihre Heimat verlassen, wo leben Sie heute?
In meinem Bauch. Da herrscht großes Chaos, aber ich lebe. Paris ist eine Basis für mich, genauso Spanien und Portugal.

Gibt es einen Ort, den Sie Zuhause nennen?
Ich fühle mich überall zuhause, wo ich hinkomme. Es geht mir wie einem Baum. Wenn er gefällt wird, hat er keine Wurzeln mehr. Du wirst dann zu einer Orchidee, die neue Wurzeln in der Luft schlägt.

Golshifteh Farahani 2016 in Cannes.
Golshifteh Farahani 2016 in Cannes. © picture alliance / dpa

Ihr Film „Alpha“, der in Locarno läuft, handelt von einem Mädchen, das stigmatisiert wird. Sehen Sie in dem Film von Julia Ducournau Parallelen zu Ihrer eigenen Geschichte?
Ganz klar! Es geht um ein Trauma, das über Generationen hinweg weitergegeben wird. Ich habe damit schon mein ganzes Leben lang zu kämpfen. Das sind Traumata, die ich nicht selbst erlebt habe, sondern die mir von den Eltern und von der Gesellschaft auferlegt wurden wie eine schwere Last. Wenn es uns selbst nicht gelingt, sie abzulegen, geben wir sie an die nächste Generation weiter.

„Ein kleiner Trigger kann den Drachen zurückbringen“

Können Sie Ihr Trauma beschreiben?
Das größte Trauma, mit dem ich lebe, ist der Suizid meiner Großmutter. Sie verbrannte sich selbst. Meine Mutter war damals sieben Jahre alt und hat alles angesehen. Sie rief die Nachbarn, um das Feuer zu löschen. Sie wuchs auf wie eine Waise. Dann heiratete sie und bekam drei Kinder, von denen ich das jüngste bin. Ich bin geboren am 10. Juli, das war der Tag, an dem meine Großmutter sich verbrannte. Ich habe meine Großmutter nie kennengelernt, aber ich lebe ihren Schmerz durch meine Mutter. Es ist wie ein schwerer Rucksack, den meine Großmutter an meine Mutter weitergegeben hat und sie dann an mich.

Leonardo DiCaprio mit Golshifteh Farahani.
Leonardo DiCaprio mit Golshifteh Farahani. © imago stock&people

War es auch eine traumatische Erfahrung, dass Sie Ihre Heimat, Ihre Familie verlassen mussten?
Sicher. Als ich den Iran verließ, wurde auf meinen Rucksack ein weiteres schweres Gewicht gelegt, es brach mir das Rückgrat. Es war wie ein Trigger. Ein kleiner Trigger kann den Drachen zurückbringen, und dann ist der Drache in Dir, und Du musst mit ihm kämpfen.

Wie kämpft der Drache gegen Sie?
Als ich ins Exil ging, war das für mich wie der Anfang vom Ende. Es war, als würde etwas vom Himmel auf mich herabstürzen. Ich war noch sehr jung, ich war 23, wurde monatelang vom Geheimdienst verhört. Ich war stolz auf den Film, den ich mit Ridley Scott gemacht hatte. Und es war beileibe kein pro-amerikanischer Film, es war kein Clint Eastwood-Film. Im Iran warfen sie mir aber vor, ich werde benutzt, um das Bild des Iran zu zerstören. Der Richter, der für mich zuständig war, ist einer der gefürchtesten in der Justiz im Iran. Während der Revolution hat er viele Freunde meines Vaters hinrichten lassen.

Golshifteh Farahani mit Sienna Miller in „Just Like a Woman“ (2012).
Golshifteh Farahani mit Sienna Miller in „Just Like a Woman“ (2012). © IMAGO/Capital Pictures

Empfinden Sie es als Belastung, als Sprachrohr für die Menschen und die Frauen im Iran zu gelten?
Ich habe mir diese Rolle nicht ausgesucht, ich hatte keine Wahl. Wenn Sie in der Islamischen Republik als Frau geboren werden, dann werden Sie als halber Mensch geboren. Ihr ganzes Leben kämpfen Sie darum, die zweite Hälfte zurückzubekommen. Das ist in meiner DNA. Was Sie in den Nachrichten sehen, ist trockene Information. Ich versuche, das auf eine emotionale Ebene zu bringen und zu zeigen, was Muttersein, was Vatersein bedeutet, was es für eine Mutter bedeutet, wenn sie ihr Kind verliert. Das ist auch für mich nicht einfach.

Die  französisch-iranische Schauspielerin Golshifteh Farahani (l.) von ihrer Kollegin Zar Amir Ebrahimi erhält den "Excellence Award Davide Campari" beim 78. Internationalen Filmfestival von Locarno auf der Bühne der Piazza Grande.
Die französisch-iranische Schauspielerin Golshifteh Farahani (l.) von ihrer Kollegin Zar Amir Ebrahimi erhält den "Excellence Award Davide Campari" beim 78. Internationalen Filmfestival von Locarno auf der Bühne der Piazza Grande. © Jean-Christophe Bott (KEYSTONE)

„Was soll das, ein Gefängnis zu bombardieren?“

Die Frauenbewegung im Iran spielt seit vielen Jahren eine große Rolle, wo sehen Sie sie heute?
Ich sehe die Bilder aus dem Iran, keine Frau trägt Schleier, sie tragen kurze Ärmel und Tank Tops. Wenn ich meine Freundinnen anrufe und sie zeigen mir mit ihren Handykameras ihre Welt, kann ich es kaum glauben. Die Regierung tut nichts dagegen, weil ihnen klar wurde, dass sie nichts tun können. Sie kommen dagegen nicht mehr an. Die Proteste von 2019 haben also tatsächlich etwas bewirkt. Aber es gibt natürlich keinen Zweifel daran, dass die Menschen im Iran Geiseln der Regierung sind, Geiseln dieser Ayatollahs. Das ist schrecklich. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass andere Länder kommen können, den Iran bombardieren und behaupten, sie wollten den Iran befreien.

Leonardo DiCaprio mit Golshifteh Farahani in „Body of Lies“.
Leonardo DiCaprio mit Golshifteh Farahani in „Body of Lies“. © IMAGO/Capital Pictures

Genau das hören wir gerade.
Was soll das, ein Gefängnis zu bombardieren, mit den Gefangenen darin, und zu behaupten, das sei ein Signal? Das Töten von Menschen, die bereits Geiseln sind, ist durch nichts zu rechtfertigen. Das ist meine Meinung. Viele Menschen haben eine andere Meinung, auch viele Iraner. Sie sagen: Lass Israel kommen und uns befreien! Ich sage, das ist Bullshit. Kein anderes Land, insbesondere nicht Israel oder die USA, werden ein Land befreien, nur zu dessen eigenem Besten. Iran ist ein Schatz, ein großes Land mit vielen Bodenschätzen, und jeder will ein Stück davon. Kein Krieg, keine Bomben von außen, können ein Land befreien. Ich hoffe, der Iran wird aus seinem Inneren heraus befreit, die Diktatoren müssen aus dem Land heraus gestürzt werden.

Sie sind aktiv in den Social Media, Sie haben viele Follower. Wie wichtig sind diese Plattformen für Sie?
Ich habe meine Aktivitäten etwas eingeschränkt, weil die Welt so viel mehr komplex geworden ist. All die Kriege und schrecklichen Dinge, die wir sehen. Es geht nach dem Motto: Schickst Du mir die Atombombe, schicke ich Dir die Atombombe! Es ist, als würden sie gemeinsam Hip-Hop singen. Es ist grauenhaft, grauenhaft! Männer auf Testosteron richten die Welt zugrunde. Und Du kannst Dich nur noch fragen: Was tun die da? Was passiert mit dieser Welt? Lasst uns lieber darauf konzentrieren, was wir können und lass sie in dieser Müllhalde, die so schlecht riecht, alleine zurück. Wenn man sich diesem Müll zu weit nähert, fängt man selbst an, schlecht zu riechen. Ich glaube, nur die Kunst, die Kultur können die Menschheit vor diesen Teenagern retten, die gerade die Welt regieren.

Golshifteh Farahani in „Westend Films“
Golshifteh Farahani in „Westend Films“ © Westend Films

Was bedeutet der Ehrenpreis in Locarno für Sie?
Der bedeutet mir viel, weil mein erster Besuch des Festivals mit dem Beginn meines Exils zusammenfiel. Und nun bekomme ich einen Preis wie eine alte Schauspielerin. Ich liebe Locarno, wenn ich hier bin, springe ich jedes Mal in die Maggia und schwimme. Ich finde, die Schweiz ist ein bezauberndes Land, ein bisschen wie ein Lollipop. Wie in einem Comic, ein kleines Utopia, von dem ich hoffe, dass es erhalten bleibt. Es ist ein so erstaunliches Land, mit den vielen verschiedenen Sprachen. Ich liebe die Schweiz.

Sie könnten ja in die Schweiz ziehen, wäre das nicht ein schöner Plan?
Es ist sehr teuer hier. Und ich glaube, ich brauche etwas mehr Chaos in meinem Leben. Ich habe von dem Bild mit dem Baum ohne Wurzeln erzählt. Ich glaube, ich bin inzwischen ein Stück weiter. Als ich im Iran lebte, war ich wie Eis, sehr solide, ein Eisblock. Als ich ins Exil ging, wurde ich flüssig, ich wurde zu Wasser. Dann kam das nächste Level und ich wurde zu Gas, schwebte über allem. Heute habe ich das Gefühl, meine Seele, die lange herumirrte, ist in meinen Körper zurückgekehrt.

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