Goldene Palme für "La vie d’ Adele"
Überraschend, mutig, richtig! Das 66. Filmfestival in Cannes gibt unter der Jury-Regie von Spielberg die Goldene Palme an einen fulminanten Coming-of-Age-Film und ist auch sonst radikal.
Cannes – Schon bei der Premiere gab es im Publikum erregte Schockstarre: Unfassbare zwölf Minuten sah man eine nette Teenagerin mit ihrer frechfreien Twenfreundin Sex entdecken und ausleben. Nichts wurde ausgelassen, aber nichts war pornografisch. Und wenn jetzt Abdellatif Kechiche für „Blau ist die wärmste Farbe – La vie d’ Adèle“ die „Goldene Palme“ bekommen hat, dann unerwartet, aber völlig zu Recht!
Unerwartet, weil niemand der Jury unter Steven Spielberg zugetraut hätte, das Wagnis einzugehen, einem Film die höchste Ehre zu erweisen, der wegen expliziter Sexszenen erst ab 18 Jahren zugelassen werden und in seiner dreistündigen Länge es bei der Kinoauswertung schwer haben dürfte.
Die große Kunst von Kechiche besteht aber darin, aus der Suche von Adèle nach sexueller Orientierung keinen Minderheiten-Problemfilm gemacht zu haben, sondern ein packendes Porträt einer Heranwachsenden zwischen Schule, Freundeskreis, Elternhaus und Berufsanfang als Vorschullehrerin.
Dieser Palmen-Triumph ist auch ein Sieg der Filmnation Frankreichs, das an der Côte d’Azur fantastisch Kluges und niemals Verschraubtes gezeigt hat. Dazu gehört auch, dass Frankreich vielen Immigranten Filmheimat wird. Dass Bérénice Bejo den Preis als beste Darstellerin bekam, ist treffend und pikant. Denn in „Le Passé – die Vergangenheit“ des Iraners Asghar Farhadi („Nader und Simin“) hätte ursprünglich Marion Cotillard („Piaf“) spielen sollen. Jetzt hat Bejo („The Artist“) gewonnen, wieder in einem französischen Film.
Die Ehre der Amerikaner retteten die Brüder Ethan und Joel Coen mit dem Großen Preis der Jury: „Inside Llewyn Davis“ streift durch die US-Folkmusik-Szene der frühen 60er Jahre. Und Bruce Dern bekam für seine Darstellung eines alterssenil werdenden Mannes, der mit seinem Sohn noch einmal in die Provinzheimat aufbricht, den Darstellerpreis in „Nebraska“ von Alexander Payne.
Am gewagtesten: der Regiepreis für Amat Escalante. „Heli“ über das kaputte Drogenkriegsland Mexiko war so brutal, dass viele in der Premiere den Saal verließen. Aber das will Cannes bei allem Glamour eben auch sein: radikal. Spielberg uns seine Jury haben das mutig prämiert.
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