"Freistatt": Ausgeliefert im Erziehungsheim

Erschütterndes aus einem bundesdeutschen Erziehungsheim: Der Spielfilm „Freistatt“ erzählt eine Geschichte von Demütigung und Widerstand.
Adrian Prechtel |
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Sowas hat es nur in totalitären Zeiten gegeben, denkt man. Aus Unorten wie Gefängnissen hört man manchmal noch Ähnliches. Aber bei uns in der guten alten BRD, die sich ja so weit von der Nazi-Zeit abgesetzt hatte? Es ist fast beruhigend, wie weit uns der Film von Marc Brummond in die Vergangenheit zurückzuführen scheint. Aber es ist eben doch gar nicht so lange her, dass die Drohung „Du kommst ins Heim!“ Kinder disziplinierte.

Trotz größter Schärfe erzeugen die Filmbilder farblich einen Super-8-Eindruck: es ist der Sommer of Love, 1968, in der norddeutschen Provinz.

Während in den Universitätsstädten ein Aufbegehren gegen Spießigkeiten und Verdrängungen stark wird, ist dieses Aufbruchsjahr für den 14-jährigen Wolfgang der Beginn einer Hölle, die es so bei uns geduldet gegeben hat: rechtsfreie Räume, in denen Gewalt, Demütigungs-Riten und Missbrauch herrschten – und das in einer scheinbaren Idylle zwischen weiten Moorwiesen und dem Gemüsegarten des Heimleiters, der hinter einer väterlichen Fassade aber bald sein wahres, autoritäres Gesicht zeigt. In den Schlafsälen, Duschen und kargen Gemeinschaftsräumen gelten perverse Zucht und perfide Hackordnungen. „Wir sind die Moorsoldaten“ erklingt hier immer noch. „Freistatt“ zeigt auch familiäre Hintergründe: Mütter, die gehorchend wegschauen, wenn der neue Mann den Sohn schlägt. Väter, die aus Schwäche und vom Gesetzt gestützt autoritär sind. Familienstrukturen, in denen alles nur ökonomisch betrachtet wird, Liebe ein Fremdwort ist.

Dass der Ort des diakonischen Fürsorgeheims, in das Wolfgang abgeschoben wird, „Freistatt“ heißt, ist makabere Ironie.

Packend macht den harten Film, dass Wolfgang eine unheimliche Energie des Widerstandes entwickelt, sich nicht brechen lässt, auch wenn er oft wieder in die Verzweiflung des völligen Ausgeliefertseins verfällt. Hoffnung macht unterschwellig auch ein Soundtrack der 70er. Irgendwann wurde dann doch aufgeräumt in den autoritären Winkeln der Gesellschaft.               

Kino: Monopol
R: Marc Brummund (D, 104 Min)

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