Filmkomponist Hans Zimmer - die AZ-Kritik
Man könnte die Bilder noch im Kopf haben: Wie Miss Daisy auf dem Bürgersteig geht und sich langsam der Cadillac ins Bild schiebt, darin ihr schwarzer Chauffeur, von dem sie sich nicht fahren lassen will. Peinlich ist das für Miss Daisy, ihre Nachbarn schauen sie komisch an. Sie steigt doch lieber ins Auto. Eine heitere Szene, und in der Olympiahalle hört man den munter tickenden Takt: Es ist der Beat des Cadillacs, der Drive des Films „Miss Daisy und ihr Chauffeur“ von 1989. Dann kommt Hans Zimmer auf die Bühne, setzt sich ans Keyboard, verspielt sich kurz, aber spielt dann diese beschwingte Melodie, die von einem Klarinettisten übernommen wird. Im Hinterkopf entert Miss Daisy den Rücksitz, auf der Bühne steigt die Band ein. Und das Publikum ist an Bord für Zimmers Konzert in der Olympiahalle.
Dass Filmmusik als Live-Ereignis die Bühne erobert, ist nichts Neues. Dass aber ein Komponist ins Rampenlicht tritt und große Hallen füllt – die Olympiahalle ist mit 11 000 Zuhörern fast ausverkauft –, das hat schon Seltenheitswert. Aber Hans Zimmer hat auch wie kein anderer den Pop in die Filmmusik gebracht, gilt als Pionier in der Vermischung von klassischem Orchester, Perkussion und Elektronik, was seine Musik marktfähig macht: Der oscarprämierte Soundtrack zum „König der Löwen“ gilt als einer der meistverkauften aller Zeiten. Live tritt dazu Sänger Lebo M. auf, einer von vielen, die Hans Zimmer auf der Bühne versammeln kann, darunter noch andere Hochkaräter wie Gitarrist Guthrie Govan.
Es ist jetzt schon ein beachtliches Lebenswerk, das der gebürtige Frankfurter ohne falsche Bescheidenheit präsentiert. Die Panflöten-Sehnsucht aus „Rain Man“ ist auch live mitreißend. Waren Zimmers Anfänge poppig, so hat er ab den Neunzigern den Sound des Actionkinos nachhaltig geprägt. Entsprechend zahlreich sind die E-Gitarren/E-Geigen-Soli sowie Einlagen an den Drums, die jedes Rock-Konzert veredeln würden. Das Prinzip Steigerung regiert, gleich am Anfang, wenn sich nach und nach die Vorhänge lüften, das Orchester enthüllt wird für „Sherlock Holmes“, daraufhin der Chor für „Madagascar“. Der Stückaufbau ist dabei meist ähnlich, es geht vom piano ins fortissimo und zurück, so, wie es das Überwältigungskino mag, dem Zimmer den, von manchen beklagten, martialischen Klang gegeben hat.
Was er für die „Piraten der Karibik“-Filme geschrieben hat, ist ein Overkill an Synkopen, an musikalischen Ausrufezeichen, die sich trotz der Akustik in der Olympiahalle fest ins Ohr hämmern. Dagegen stehen harmoniesatte Kompositionsstrecken, die den Zuschauer manipulieren sollen, dabei aber originell sind: Ridley Scotts Testosteron-Spektakel „Gladiator“ verpasste Zimmer mittels Lisa Gerrards schwebender Stimme eine „weibliche Seele“. Live übernimmt Czarina Russell diesen Part, und es klingt so schön, dass es kein Kitsch sein kann.
Die zweite Hälfte des dreistündigen Abends bestimmt Zimmers Spätphase: Minimotive im Loop, Streicher-Ostinati, markante Bläsereinsätze. Alles bevorzugt düster. An Vorbilder wie Korngold, gar Wagner denkt man hier nicht mehr, eher an Minimalisten wie Steve Reich, wobei die Filmmusik weiterhin die etwas schlichtere Schwester der Klassik bleibt. Aber es hat schon einen gewaltigen Sog, was Zimmer für Christopher Nolans Filme, von „The Dark Knight“ bis „Interstellar“, komponierte. So steigt man ein und kann kaum aussteigen. Ein wenig Rampensau erlaubt sich Zimmer bei dieser Fahrt, moderiert, spielt an diversen Instrumenten, sein Körper geformt von 58 Jahren, der musikalische Corpus monumental-konzertfähig, jenseits der Bilder.
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