"Enfant Terrible": Despot mit der Dampfwalze
Die New York Times nannte ihn "den begabtesten und originellsten jungen Filmemacher in Westeuropa", noch heute schwärmen die Franzosen vom "enfant terrible", dem einzigartigen Rainer Werner Fassbinder. Er gehört zu den größten Regisseuren der Nachkriegszeit, krempelte die Filmlandschaft um und steht für den Aufbruch des Neuen Deutschen Films.
Roehler geht dahin, wo es weh tut
Sich an so eine Kultfigur zu wagen und zu reiben, dazu braucht es Selbstbewusstsein, Chuzpe und Mut. Über die verfügt der ebenfalls Provokation liebende Oskar Roehler ("Die Unberührbare") und geht dahin, wo es weh tut. Kein Biopic über ein exzentrisches Genie, das sein intensives Leben wie eine Kerze an beiden Enden abbrannte, sondern ein rohes und raues Fassbinder-Porträt, eine Verbeugung, ohne ihn aufs Podest zu stellen. Der größte Teil spielt im fast klaustrophobischen Ambiente eines Studios in theaterhaften Kulissen mit ausgefallener Licht- und Farbdramaturgie und schnell hin gesprühten Graffitis an der Wand.
Als der 22-jährige Fassbinder 1968 nach Auflösung des Action-Theaters im Handstreich die Bühne des Antiteaters in München kapert, ist das der Beginn eines kometenhaften Aufstiegs. Im Wahnsinnstempo dreht er einen Film nach dem anderen mit einem Clan von Schauspielern und Schauspielerinnen, Hasardeuren und Selbstdarstellern, die von Katja Riemann, Eva Mattes oder Götz Otto verkörpert werden.
Kein verständnisvoller Typ, der diskutiert, sondern ein Despot, der wie eine Dampfwalze über andere hinweg rollt. Wer ihm zu nahe kommt, verbrennt. Zwei seiner Liebhaber nahmen sich das Leben: der aus Tunesien stammend El Hedi ben Salem, der in "Angst essen Seele auf" neben Brigitte Mira als arabischer Gastarbeiter glänzt, und Armin Meier, ein Barkeeper, der in München zwei Tage durch die Straßen irrt, bevor er Suizid begeht.
"Enfant Terrible": Wühlen im Seelenschmutz
Gleichzeitig steht Fassbinder im Rampenlicht, trifft Ikonen wie Andy Warhol oder Jane Fonda. Er versinkt immer mehr in einem Sumpf aus Alkohol- und Drogen. Dann stirbt er ausgelaugt, erst 37 Jahre alt, 1982 in der Münchner Clemensstraße Nr. 76. Das, markiert auch das Ende einer einzigartigen Ära. Seine Grabstätte findet sich auf dem Bogenhausener Friedhof.
Roehler hängt Episoden aneinander, wühlt im Seelenschmutz, wenn er die düsteren Seiten eines Superkreativen aufzeigt, der emotional eine Schneise der Verwüstung hinterlässt, in schwarzer Ledermontur Grenzen austariert und überschreitet.
Oliver Masucci futterte sich einen Wanst an und zeigt ihn gerne und oft im Bademantel. Er verkörpert in dieser schmerzhaften Studie über Machtstrukturen und Abhängigkeiten imposant den unberechenbaren Berserker, der in seiner kurzen Existenz Theater- und Hörspiele inszenierte, rund 40 Kino- und Fernsehfilme drehte, darunter "Die Ehe der Maria Braun" oder "Die Sehnsucht der Veronika Voss" sowie die berühmte TV-Serie "Berlin Alexanderplatz". Faszinierend, wie er in die schwule Subkultur taucht, am Leben und der Liebe scheitert und in körperlichen Verfall schlittert. Einer, der verzweifelt nach Liebe und Zärtlichkeit suchte, aber keine wirkliche Nähe duldete und ertrug.
R: Oskar Roehler (D 134 Min.), K: Arena, City Atelier, Kino Soll, Rio Filmpalast
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