Interview

Emil Steinberger mit 92 immer noch lebensfroh: Was ihm Antrieb gibt

Der Film „Typisch Emil“ porträtiert Emil Steinberger. Der stellt ihn selbst in München vor. Im Interview erzählt er über die Schweiz, München, New York und die Kostbarkeit des Dialekts. Sein Lebensgeheimnis: „Ich hab die Menschen gern“
von  Thomas Becker
Emil Steinberger ist ein gutgelaunter Menschenfreund - bis heute.
Emil Steinberger ist ein gutgelaunter Menschenfreund - bis heute. © Gorps Film

Witzigerweise ist Emil Steinberger Sohn eines Buchhalters und war selbst neun Jahre im Schalterdienst als Postbeamter, ehe er die Kunstgewerbeschule Luzern besuchte. Im September 1967 eröffnete er gemeinsam mit seiner ersten Ehefrau das Kleintheater am Bundesplatz Luzern, in dem Jazzkonzerte, Theater- und Kabarettvorstellungen stattfanden und er seine ersten eigenen Programme aufführte. Seitdem ist er als Kabarettist eine feste Größe.

AZ: Herr Steinberger, bevor wir loslegen, eine Beichte: Ich bin Fan, konnte als Kind viele Ihrer Nummern auswendig, was auf Familienfesten gut ankam. Als ich jetzt den Film gesehen habe, kam alles wieder hoch, alle Texte, alle Gags. Schön, dass wir uns ein halbes Jahrhundert später kennenlernen!
EMIL STEINBERGER: Ich bekomme gleich Hühnerhaut, wenn Sie so etwas sagen! Unglaublich. Das ist schön, wenn Sie Freude haben.

Im Januar sind Sie 92 geworden. Wie geht es Ihnen?
Gut, nach solchen Sätzen sowieso. Wir arbeiten viel, viel, viel und noch mehr. Und hören nicht auf.

Wer rastet, der rostet: Ist das das ganze Geheimnis?
Bis zu einem großen Teil ist es so. Nicht jeder hat die Möglichkeit wie ich, auf mehreren Gebieten tätig zu sein: Bühne, Schallplatten, Filme, Bücher, Zirkus, Kinoleitung, Fernsehen, Werbe-Spots für Melitta, Auftritte in China, Tokio und London, eine Emil-Briefmarke gibt es, Ehrenbürger bin ich: Das ist schon ein verrücktes Leben. Aber es ist nichts gewollt, kein zielgerichtetes Suchen, sondern alles gekommen, an mich herangetragen worden. Ich bin schon glücklich. Als ein Astrologe mein Horoskop sah, sagte er: „Das möchte ich auch haben.“

Ein Klassiker: Emil Steinberger bei seinem legendären Kinderwagen-Sketch.
Ein Klassiker: Emil Steinberger bei seinem legendären Kinderwagen-Sketch. © Gorps Film

Viel mehr passt nicht rein in ein Leben, oder?
Ich weiß nicht, was noch kommt…

Allein im Sommer muten Sie sich einiges zu: Von Mitte Juli bis Anfang September haben Sie quer durch die Schweiz 30 Auftritte mit dem Film - das würde manch Jüngeren stressen.
Nach all den Auftritten für den Film in Deutschland, Österreich und der Schweiz wird wieder eine Phase kommen, in der Zeit für Kreativität ist. Hinzu kommt, dass ich eine gute, intelligente und kreative Frau habe, die mitdenkt und mitarbeitet wie verrückt. Nur so ist das alles erträglich.

Haben Sie etwas Neues im Köcher?
Ich will das nicht forcieren. Das Gesetz bei mir ist so: Warten, bis etwas reif ist. Wenn es reif ist, dann ist es gut und meldet sich automatisch.

1993 sind Sie - mit 60 - aus dem „gesellschaftlichen Gefängnis“, wie Sie die Schweiz nannten, ausgebrochen und nach New York geflüchtet. Wohin?
An die Fifth Avenue Ecke 51 Straße. Schräg gegenüber vom Rockefeller Center.

Midtown Manhattan!

Fantastische Ehe: Niccel und Emil Steinberger in New York.
Fantastische Ehe: Niccel und Emil Steinberger in New York. © Gorps Film

Ich hatte sehr viele Wohnungen angeschaut: katastrophal. Dunkle Räume, schwere Vorhänge, Blick auf die nächste Häuserwand, Bierflaschen und Matratzen am Boden. Aber dann komme ich in ein Haus, fahre in den 26. Stock - und es war um mich geschehen. Bodentiefe Fenster, herrliche Aussicht: traumhaft. Da habe ich mir gesagt: „Emil, du hast gearbeitet und gearbeitet, willst nun nicht allein in einem dunklen Raum sitzen, der dir nicht gefällt. Das ist gefährlich.“ Also habe ich diese Zwei-Zimmer-Wohnung gemietet. Es war gewaltig schön: Morgenrot und Schneegestöber zwischen den Wolkenkratzern! Und abends all die Lichter! Ich bin glücklich, dass ich mir das gegönnt habe.

Sie haben es auch eine Weile ausgehalten: sechs Jahre.
Das war für mich auch eine Überraschung. Ich wollte ja nur ein Jahr bleiben. Aber was da alles an mich herangetragen wurde! Ich habe praktisch nur noch gearbeitet.

Was nicht der Plan war.
Jeden zweiten Tag kam irgendein Anruf: Ob ich eine Fernsehstation an der Ostküste aufstellen möchte, um die Sicht eines Europäers auf Amerika zu schildern. Laufend solche verrückten Angebote!

Tipp, Brieffreundschaft, Besuch, Hochzeit

Dabei wollten Sie nur mal durch eine Stadt laufen, ohne ständig angequatscht zu werden.
In dieser Beziehung war es perfekt. Ich war nicht isoliert, sondern mittendrin, in fünf Minuten im MoMA. Und ich habe mich da auch noch in Niccel, meine Frau, verliebt. Ein Resultat daraus: dass ich dem Circus Roncalli 1980 zum Neustart mitverholfen habe. Sie fand das Programm, für das ich Regie geführt hatte, als 15-Jährige so toll, dass sie Clown werden wollte. Mit 20 schrieb sie mir ihren ersten Brief, um Rat zu holen, wie man Clown werden kann. Daraus wurde eine zehnjährige Brieffreundschaft - und an ihrem Dreissigsten kam sie dann mit ihrer Mutter nach New York! Ein Jahr später waren wir ein Paar. Seither sind wir unzertrennlich.

Als es zurück nach Europa ging, zogen Sie dann nach Montreux. Zurück in Ihre Heimatstadt Luzern wollten Sie also nicht mehr?
Ich wusste, wie das Leben da war: Ich wurde ständig bombardiert mit „könnten Sie“, „würden Sie“, „täten Sie“, und das wollte ich nicht wiederholt haben. Zürich wiederum hatte zu viele Medien, und so zogen wir 2014 nach Basel. Ich mag den Dialekt, die Menschen sind eher fröhlicher und außerdem kann ich nach 20 Jahren Fremdsprachen endlich wieder in meiner Muttersprache sprechen.

Emil Steinberger als Clown im Circus Knie.
Emil Steinberger als Clown im Circus Knie. © Gorps Film

Aber wenn Sie durch Basel spazieren, spricht Sie doch immer noch jeder Zweite an, oder?
Nein, nein. In Basel sind sie sehr diskret. Die marschieren parallel mit dir auf dem Bürgersteig und reden seitwärts mit dir - „es ist so schön, dass Sie in Basel wohnen“. In der Tram stand mal eine Frau auf, brachte mir einen Blumenstrauß und sagte: „Eigentlich hab’ ich den nicht für Sie gekauft, aber wenn ich Sie schon mal sehe…“ Oder wenn wir im Restaurant zahlen wollen, heißt es manchmal „Es ist schon bezahlt.“ Von einem Menschen, der nicht erkannt werden will. Wir sind wirklich sehr gut aufgenommen worden.

Und wie ist es, wenn Sie wieder nach Luzern kommen?
Schon intensiver. Dann kommen Kollegen, schlagen dir auf die Schulter und sagen: „Emil, wir waren doch zusammen beim Militärdienst!“ Aber es flacht auch ab, ganz klar. Die Generation, die mich begeistert gesehen hat, verschwindet langsam. Bei den jungen Leuten bin ich nicht mehr ganz so verankert; das kommt jetzt durch den Film wieder. Es lebt immer weiter.

Rationaltheater oder Nationaltheater?

Was haben Sie damals mit dieser Figur Emil gemacht, dass man die Sätze auch 50 Jahre später noch komplett aufsagen kann? Der Film heißt ja „Typisch Emil“ - was ist typisch Emil?
Dass ich die Menschen gern habe und sie deshalb mit einer Optik betrachte, die nicht verletzend ist, sondern ihre Gefühle, ihren Stil und ihre Lebensart ausdrückt. Ich bin nie nach draußen gegangen, um Eindrücke zu sammeln. Das sind alles Gefühle, die hochkommen, sobald ich eine Nummer über Blutspender oder einen Polizeiwachtmeister schreibe. Klar überspitze ich, es muss ja lustig sein, nicht nur ein Abbild. Diese Ader habe ich zum Glück in mir: Dinge von einer komischen Seite anpacken zu können. Und die Geschichten sind immer noch aktuell. Übrigens: Die mit dem verschlafenen Polizeiwachtmeister habe ich aus der Fantasie geschrieben, aber irgendwann schrieb mir eine Frau, dass ihr das genau so passiert sei! Der Beamte habe tatsächlich gesagt: „Wir können nicht kommen, es schlafen schon alle“ - wie in meinem Sketch!

Sie stellen den Film auch in München vor. 1986 haben Sie hier den Karl-Valentin-Orden bekommen, 20 Jahre später den Bayerischen Kabarettpreis.

München war die erste Stadt, wo ich en suite gespielt habe, im „R“-ationaltheater. Sie haben das „R“ gehört! Eine Schweizer Zeitung hat damals nämlich geschrieben, ich hätte im Nationaltheater gespielt. Ich habe das nicht korrigiert. Ich war skeptisch, ob meine Programme in Deutschland auch funktionieren. Eine Übersetzung ist halt nie identisch mit dem Original, besonders, wenn es um Komik geht. Man findet ja die Wörter nicht. Es gibt kleine Wörter, die im Schweizer Dialekt kostbar sind, die man aber nicht übersetzen kann. Aber ich hatte wieder das Glück - immer wieder dieses Glück! -, dass die Leute mein Schweizer Hochdeutsch geliebt haben. Obwohl man mich davor gewarnt hatte: ‚Hör auf! Die verstehen’s ja nicht mal!’ Ich habe ja keinen Schweizer Dialekt gesprochen, sondern ein Schweizer Hochdeutsch. So reden wir, wenn wir nach Deutschland gehen. Und die armen Deutschen gehen im Schweizer Urlaub in die Bäckerei: und verstehen nichts!

Wie kam es, dass Sie 1986 für den Willy-Bogner-Film „Fire & Ice“ die Synchronisation gesprochen haben?
Ich kannte Willy durch seine ‚zweite Hand’ in der Firma: einen Schweizer. Der hatte mich beim Zirkus Knie gesehen. Zuhause hat mir Willy dann auf einem kleinen Monitor Filmszenen gezeigt, die er gedreht hatte, und gesagt: „Ich weiß einfach nicht, was ich damit machen soll.“ Ich sagte: „Willy, das ist ja sensationell! Diese Bilder: einmalig!“ Er meinte: „Jaja, ich will aber eine Geschichte erzählen, doch es tönt so schlimm…“ Ich sagte: „Gib mir mal eine Kopie, und ich versuche einen Dialog zu schreiben über diesen Playboy, der von Frau zu Frau hüpft.“ Und was soll ich sagen? Ich habe übrigens meinen Text für den Film im Off auch noch selber, mit leichtem Schweizer Akzent, gesprochen. Der Film wurde ein Hit!

Emil Steinberger kommt am Freitag, 20. Juni, 18 Uhr in den Rio Filmpalast am Rosenheimer Platz und stellt „Typisch Emil“ vor, der kommenden Donnerstag im Kino startet.

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