Drachenreiter: Auf der Suche nach dem Paradies
Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute doch so nah liegt? In Anlehnung an Goethe ist die Frage durchaus berechtigt, wenn es um die filmische Auseinandersetzung mit dem Fundus deutschsprachiger Fantasy-Literatur geht. Jugendliche, die sich nach entsprechenden Verfilmungen verzehren, landen immer im Ausland: bei J. K. Rowling ("Harry Potter"), J. R. R. Tolkien ("Herr der Ringe") oder George R. R. Martin ("Game of Thrones"). Dabei böten neben Michael Ende und dem chronisch unterschätzten Wolfgang Hohlbein gerade die Werke von Cornelia Funke genügend Stoff für packende und tiefgründige Filmadaptionen.
Drachenreiter: Gelungene Bestsellerverfilmung
Die bisherigen Versuche, die Werke der Bestsellerautorin auf die Leinwand zu bringen, scheiterten entweder an der verheerenden künstlerischen Umsetzung ("Herr der Diebe", "Tintenherz") oder konzentrierten sich auf ihre Fantasy freien Vorlagen ("Die wilden Hühner").
Nun aber ist es gelungen mit "Drachenreiter" eines ihrer populärsten Werke - trotz ein paar aufgesetzter Modernismen wie eine Online-Partnersuche des Bösewichts - überzeugend für das Kino umzusetzen. Verantwortlich dafür ist der junge Filmemacher Tomer Eshed, der mit dem Animations-Abenteuer gar nicht erst versucht mit Hollywood zu konkurrieren, im Gegenteil die Vorbilder "Drachenzähmen leicht gemacht" und "Ice Age" sogar selbstironisch zitiert.
Eshed und sein Autor John R. Smith dampfen Funkes Roman radikal ein, dämpfen den düsteren Tonfall, eliminieren in der Montage auch einige der fantastischen Fabelwesen.
Der Kern von Funkes Werk, die kluge Verzahnung von Problemen der Wirklichkeit mit der schillernden Welt der Fantasie bleibt aber erhalten. Gleich zu Beginn wird eine Drachenkolonie in Angst gezeigt. Verdrängt vom Menschen hat man sich im Wald zurückgezogen, verzichtet, um unauffällig zu bleiben, aufs Brüllen, Fliegen und Feuer speien. Doch der Mensch mit seinen Maschinen, mit seinem Raubbau an der Natur, rückt näher, was zur Frage führt: Kämpfen oder verstecken?
Nur Silberdrache Lung (Stimme: Julien Bam) hat noch eine andere Lösung parat, der sich bis auf den fuchsähnlichen Kobold Schwefelfell (Dagi Bee) nur leider keiner anschließen will: einem Traum nachfliegen - zum sagenhaften Ort nur für Drachen, dem "Saum des Himmels".
Wenig überraschend macht sich das jugendliche Außenseiterpaar ohne Einwilligung auf die Reise, um dieses magische Biotop zu finden. Ein Wegweiser soll dabei das menschliche Orakel "Internet" sein, doch am Ende finden die beiden in der Stadt nur den betrügerischen Waisenjungen Ben (Mike Singer), der sich prompt als Drachenreiter ausgibt.
Um auch gegen das von Menschen erschaffene, Drachen fressende Metallmonster Nesselbrand (Rick Kavanian) zu reüssieren, muss das Trio Vorurteile überwinden, den anderen als Individuum anerkennen.
Dank erfrischender Nebenfiguren wie den dümmlichen Ruhrpott-Zwerg (Axel Stein) und einer farbenfrohen Bildsprache, die geschickt statische Landschaftspanoramen mit den wuseligen Hauptfiguren kontrastiert, wirkt das rasante Spektakel niemals ausgelutscht, immer feurig, und schimmert stets auch Funkes humanitärer Gedanke von der freien Entfaltung aller Wesen durch.
Kino: Cadillac, Cinemaxx, Sendlinger Tor, Solln, Leopold, Mathäser, Royal sowie Museum (OV)
R: Tomer Eshed (D, 91Min.)
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