Die Last mit der Lebenslust

Berührend: Paulina García als „Gloria”, die mit 58 noch einmal das große Glück sucht
Florian Koch |
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Das erste Mal kann peinlich sein. Gerade wenn man seinen neuen Freund der kritischen Familie vorstellt. Die Gespräche wirken verkrampft, man beäugt sich, will sich ein erstes Bild von dem „Neuen” machen. Manche blühen in dieser Drucksituation, in der man sich fühlt wie ein spektakuläres Ausstellungsstück, regelrecht auf. Andere finden keinen Draht zur Familie und fangen an zu verstummen oder schlimmer noch: Sie verschwinden still und heimlich.

Rodolfo (Sergio Hernández) ist so einer, der lieber reißaus nimmt, als sich am lebhaften Tischgespräch zu beteiligen. Was bei einem aufgeregten Teenie noch ansatzweise verständlich wäre, scheint in seinem Fall unverzeihbar. Rodolfo ist 65, einfühlsam, vermögend und ein (allzu) anhänglicher Vater. Seine neue Liebe heißt „Gloria” (leidenschaftlich wie eine Almodóvar-Muse: Berlinale-Gewinnerin Paulina García), eine 58-jährige lebenshungrige und -lustige Frau, die noch einmal das große Glück sucht, und endlich festhalten will.

Es ist herzzerreißend zu beobachten, wie sie versucht, vor ihren Kindern den feigen Abgang von Rodolfo zu überspielen und ihren Schmerz zu verdrängen. Und doch wird auch klar, dass allen fadenscheinigen Entschuldigungen Rodolfos zum Trotz ein tiefer Riss in ihrer Beziehung entstanden ist, der nur schwer zu kitten ist.

Sebastián Lelio gelang mit „Gloria” das einfühlsame, gleichsam komische und bewegende Porträt einer geschiedenen, einsamen Chilenin, die wie viele Frauen ihres Alters nicht zu Hause vor sich hindämmern, sondern das pulsierende Leben lustvoll umarmen will. Hornbrillenträgerin Gloria, Schlagerfan, wilde Tänzerin und Gelegenheits-Joint-Raucherin, nimmt das Publikum mit auf eine trotz expliziter Sexszenen (mit unvergesslichem Hüftgürtel-Wegreißen-Einsatz) niemals peinliche Reise zu sich selbst, die sie auf besagten Rodolfo treffen lässt, der in ihr den Glauben weckt, alles hinter sich lassen zu können und noch einmal neu anzufangen.

Wie die beiden noch vor der traurigen Familien-Vorstellung turteln wie pubertierende Teenies und dabei so verrückte Dinge tun wie Paintball schießen, ist nicht nur amüsant und lebensecht, sondern birgt auch eine große Sehnsucht nach Geborgenheit in sich, die noch lange nach dem wunderbar befreienden Schluss nachwirkt.

Kino: ABC (auch OmU), Eldorado, Neues Arena, Theatiner (OmU) R: Sebastián Lelio (Chile, Spa, 110 Min.)

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